Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

An seiner Wohlgeboren
den Kurfürstlich-Hessischen Kapellmeister
Herrn Louis Spohr
in
Cassel.


Hochgeehrter Herr Kapellmeister!
Sehr geehrter Herr Pathe!

Als ich im Jahr 1834 den 16ten April in Arnsberg das Licht der Welt erblickte, hatte Ew. Wohlgeboren die Güte, auf die, durch meinen Vater an Sie gerichtete schriftliche Bitte1, demselben zu erlauben2 mich auf den Namen „Louis” taufen laßen zu dürfen, und die Pathenstelle zu übernehmen.
Wenn ich mir nun erlaube diese Zeilen an meinen hochgeschätzten Herrn Pathen zu richten, so hoffe ich durch den oben angeführten Umstand in etwa Entschuldigt zu sein, wenn ich mir zugleich die Freiheit nehme so kurz, als es mir möglich ist einiges über die uns in der Zeit von 13 Jahren betroffenen Wiederwärtigkeiten mitzutheilen.
Als mein Vater im Jahr 1835 in Frankfurt a/m sich einige Zeit aufgehalten um vielleicht dort ein Engagement zu trachten(?), hatte der Herr Kapellmeister die Güte dem Vater vorzuschlagen nach Cleve zu gehen, indem der Herr Notar Thomae dort einen tüchtigen Herrn als Musikdirektor zu haben wünschte.3 Wir reisten nach Cleve und fanden daselbst erst nach kümmerlich verlebten 2 Jahren ein Bestehn welches sich später dadurch, daß der Vater den Musik-Unterricht in einem Erziehungs-Instiut erhielt, in etwas verbesserte. Abwechselnd, in günstigen und ungünstigen Umständen lebten wir bis zum Monat April dieses Jahres, wo mit einmale alle Verdienste, welche sich auch in der letzten Zeit schon bedeutend verringert hatten, aufhörten. Von da an haben wir 6 Kinder mit dem Vater und der Mutter in der äußersten Bedrängniß gelebt, und es gelang dem Vater nur zuweilen durch den Verkauf von Musikalien, Compositionen für Männergersang, im Ausland so viel zu erwerben um uns damit kümmerlich zu erhalten. Der Vater war zum Vlaemisch-Deutschen Sängerfeste nach Gent gereißt, um bei dieser Gelegenheit, wo sich namentlich viele Belgesche Liedertafeln zusammenfanden, einiges verkaufen zu können, hatte aber das Unglück am Tage der ersten Aufführung lebensgefährlich verwundet zu werden, und dadurch außer Stande diese Vereinigung von Männergesangvereinen benutzen zu können. Ew. Wohlgeboren waren ja selbst in Gent zugegen4 und werden sich des Vorfalls gewiß noch erinnern. Nachdem der Vater, welcher sich noch einige Zeit in Gent unter ärztlicher Pflege aufhalten mußte, wieder hergestellt war, kam er wieder nach Cleve zurück und versuchte ob in Holland nicht ein Unterkommen für uns zu finden sei, Allein auch das hatte keinen besseren Erfolg, indem durch die Aufhebung der Regimentsmusik der Holländischen Armee jede Stadt von den entlassenen Hautboisten so überfüllt ist daß es unmöglich ist, noch irgendwo Unterkommen zu können.
Doch will ich Ihnen, geehrter Herr Pathe keine weitere Beschwerden verursachen, nur daß erlaube ich mir noch hinzuzufügen, daß der Vater schon seit 6 Wochen auf Reise ist, ohne daß wir wissen, wo er sich befindet und wir in der schrecklichsten Noth uns befinden, da wir keine Lebensmittel noch sonstige für den Winter gehrige Gegenstände besitzen. In dieser höchsten und entsetzlichsten Noth wende ich mich im Namen meiner Mutter und meiner übrigen 5 kleinen Geschwister an Sie, hochgeehrter Herr Pathe, und bitte recht dringend um eine Unterstützung für uns in dieser schrecklichen Zeit der Noth. Nur unter diesen traurigen Umständen konnten wir veranlaßt werden, die bekannte Großmuth meines verehrten Herrn Pathen zu beanspruchen und erwarten mit Sehnsucht bald gefällige Zuschrift. Indem ich mir noch erlaube Ihnen meinen wärmsten Glückwunsch zum neuen Jahre darzubringen, erlauben Sie das

Mit Hochachtungsvoller Ergebenheit zeichnent
Ihr Sie hochachtender
Louis Eckhardt

Cleve d 28sten Decbr. 1847.

Autor(en): Eckhardt, Louis
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Eckhardt, August
Eckhardt, Louise
Thomae, Friedrich Wilhelm Ludwig
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Arnsberg
Frankfurt am Main
Gent
Kleve
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847122847

Spohr



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Eckhardt an Spohr, 04.10.1855.

[1] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[3] Vgl. Friedrich Thomae an Spohr, 20.08.1835; Spohr an Wilhelm Speyer, 27.08.1835 und 30.09.1835.

[4] Marianne Spohr erwähnt in ihrem Tagebucheintrag 28.06.1847 zwar das Sängerfest, jedoch kein Unglück. Vgl. auch „[Das grosse Sängerfest des deutsch-vlämischen Sängerbundes]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 49 (1847), Sp. 486.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.09.2021).