Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeboren
Herrn Kapellmeister Dr. Spohr.
Kassel


Riga d 6/18 Nov 47.

Hochverehrter Herr Kapellmeister!

Meine flüchtige Erscheinung ist in Ihrem Gedächtniß wol längst erloschen; aber in meiner Seele lebt in frischer Erinnerung dero Huld und Güte, womit sie, hochverehrter Herr – als ich vor fünfzehn Jahren als Marie Schneider in Kassel war – mich Ihre Landsmännin beglückt! Jetzt bin ich eine Wittwe, nachdem ich acht Jahre die glücklichste Gattin des hier höchst beliebten Gesangslehrer Petrick gewesen. Mein theurer Mann starb am 13/25 Nov d.J. an einer Verhärtung der Lunge, und ich stehe jetzt mit meinen vier kleinen Söhnen hilflos und allein in diesem fremden Lande. Da ich Ihnen, hochverehrter Herr dieß auf das dringendste empfohlen war, so bitte ich jetzt unterthängist, in Berücksichtigung dessen, mir zu verzeiehen, daß ich es wage Ihre tröstliche Nächstenliebe aufzufordern, mich in einer für mich wichtigen Angelegenheit, gütigst zu unterstützen.
Der Bassist H. Karl Franke in Kassel engagirt, schuldet meinem verstorbenen Manne 21 Rth. 18 Sgr. 2 Pf.1 Eben so hat, auf Veranlassung und dringende Bitte meines Mannes, Herr Alexander Gerstenmeier – ein uns geneigter Gönner – für H. Franke die Gutsage einer Schuld übernommen, die Herr Gerstenmeier jetzt zahlen mußte; diese bebringt mir aus beiligendem Papier2 28 Rubel 25 Kop. Silb.3 (31 Rth 10 Sgr.) welche mir gütigst cedirt4 werden. Dieses inclus der Gutsage die mein Mann selbst gethan (21 Rth 18 Sgr. 2 Pf.) beträgt 52 Rth. 28 Sgr. 2 Pf, und ich würde in meiner höchst bedrängteen Lage Gott für diese Hilfe danken! Mein Hochverehrter Herr Kapellmeister ich bitte unterthänigst um Ihre gütige Vermittlung in dieser Sache! Herr Franke kann Ihnen nichts verweigern und der liebe Gott, der ja Wittwen u Waisen schützt, wird Ihr gütiges Mühen mit sicherm Erfolg krönen, worin Ihr gutes Herz, Ihr edler Geist schon einen Ersatz finden wird.
Vergebenst suche ich Worte meinen dreisten Schritt den ich gewagt, zu entschuldigen, doch Sie, hochverehrter Herr verschmähen diese, und reichen mir sicher und hilfreich die Hand; ich weiß es, mein guter Engel flüstert es mir zu. Sollen Sie eines Juristen bedürfen, so würde ich ersuchen den Herrn Notar Kraushaar5 deshalb zu bitten, denn an diese Familie war ich bei meiner Anwesenheit in Kassel auch auf das herzlichste empfohlen, und erinnere mich mit Dankbarkeit der freundlichen Theilnahme derselben.
In Unterthänigkeit verharre ich als

Ew. Wohlgeboren
ganz gehorsame Dienerin
Marie Petrick
geb. Schneider aus
Braunschweig.

Autor(en): Petrick, Marie
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Francke, Carl
Gerstenmeier, Alexander
Kraushaar, Gustav
Petrick, Carl Ludwig
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847111843

Spohr



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Zu seinem Finanzgebahren in Kassel vgl. Carl Francke an Spohr, 01.04.1848, Anfang Mai 1848 und 02.06.1848.

[2] Liegt dem Autograf dieses Briefs bei.

[3] Abk. f. „Kopeken Silber“.

[4]cediren, abtreten, überlassen; bonis cediren s. bonis“(Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 81).

[5] Gustav Kraushaar erscheint 1844 letztmals im Casselschen Adreß-Buch (1844, S. 131; 1845, S. 134).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.05.2022).