Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochwolgeborner Herr!
Hochzuverehrender Herr General Musik Direktor
u Hof-Kapellmeister!

Es ist Ihnen gewiß nicht wenig befremden, daß Sie von einem jungen Manne aus so großer Ferne mit einem Briefe belästigt werden, der Ihnen persönlich unbekannt ist, ja von dessen Existenz Sie nicht einmal etwas wußten, blicken Sie aber geneigtest nach meinem Namen u dieser sagt Ihnen, daß wir einander nicht so unbekannt sind, oder es nicht sein sollten. -
Der Zweck meiner Zeilen, ich bevormerke dies gleich, soll nicht der sein, den man gewöhnlich bei Nachsuchung von hohen Verwandschaften verfolgt, sondern ein lauterer, u zwar kein anderer, als um einen Zweifel zu lösen, der über unserer verwandschaftlichen Verbindung schwebt. Dies hätte schon längst von meinem Vater geschehen sein sollen, auch ich hätte dies schon früher thun sollen, aber, ich gestehe es, die Furcht hat mich abgehalten, daß ich Ihnen erscheinen möchte, als verfolge ich andere Rücksichten etwa pecuniäre.
Ehrenvolle Männer, alle huldigen Ihrer hohen Kunst haben meine Bedenklichkeiten zu verdrängen gewußt u ich wage es nun, Ihnen diese Zeilen vorzulegen u meinen Glauben bescheiden auszusprechen: ich bin ein Glied Ihrer hochgeachteten Familie. -
Zwar räume ich es ein, daß mir selbst die Ueberzeugung fehlt, dies zu sein, weil die Ueberlieferungen etwas unvollständig sind u es mir ungeachtet vieler Bemühungen nicht gelungen ist, dem Zusammenhange unser Verwandtschaft näher auf den Grund zu kommen. Aber zu jenem Glauben habe ich alle Veranlassung u damit ich ferner die an mich ergehenden Fragen, ob ich ein Glied Ihrer Familie sei, entweder bejahen, oder verneinen könne, will ich mir erlauben, das was ich zur Begründung meiner Meinung weiß, Ihnen zur eigenen Beurtheilung vorzulegen.
Mein Vater Ludwig Spohr ist der Sohn eines Färbers u Formstechers Spohr, ich glaube er hieß auch mit Vornamen Ludwig. Letzterer hatte1 in damaliger Zeit eine bedeutende Fabrik in Stralsund u betrieb sein Geschäfte im Formstechen zugleich auch reisend; er war im Hessischen u zwar in Hessen-Ziegenhain gebürtig, welcher Ort ist uns nicht bekannt. Unglückliche Operationen führten seines Geschäfts Verfall herbei u er verließ seine Frau u meinen Vater, der damals noch im zartesten Jugendalter war. Ueber seinen Verbleib ist uns nie etwas bekannt geworden ein Brief, der meiner Großmutter zuging, läßt aber vermuthen, daß er wieder im Hessischen sich niedergelassen habe. Dies ist ungefähr in den 80ger Jahren, des vorigen Jahrhunderts geschehen. Mein Vater ist von dem Commandeur eines schwedischen Linien Regiments in Stralsund erzogen, er hat die Feldzüge im schwedischen Dienste gegen Rußland in Finnland mitgemacht, nachdem er dem Regimente seines Erziehers einverleibt worden, u ist später, als Stralsund u das damalige schwedische Pommern zu Preußen kam, in preußische Dienste getreten, in denen er den Feldzug gegen Frankreich mitmachte u bei seiner Rückkehr von dort auch in Cassel gewesen, un den Zweifel über nähere Verwandtschaft zu lösen, hatte aber nicht das Glück, unseren vermeintlichen Verwandten anwesend zu treffen, weil Sie damals auswärtig Ihrer Kunst lebten. Ihre verehrte Gemahlin hat er indeß gesprochen, nur hat diese ihm über seine Anfrage keine Auskunft geben können. - Mein Vater ist später zur Gendarmerie übertetreten u ist gegenwärtig pensionirt, nicht weit von hier in einem kleinen Städchen Namens Gollnow. ich bin zu Zeit 26 Jahr alt u bin Secretair bei der hiesigen König. Preußischen Regierung. Es ist möglich, daß die Nachrichten über unsere Verwandtschaft mit Ihnen vollständiger gewesen sind, als ich sie hier mittheile, allein die Zeit hat auch sie wohl benagt u es ist uns nichts weiter als die Ueberlieferung geblieben, daß wir in verwandschaftlichen Beziehungen zu einander stehen. Wenn ich indeß berücksichtige, daß es nur wenige Leute unseres Namens giebt, daß soviel feststeht, wie unser Großvater aus dem Hessischen kommt u den hinzufüge, daß auch Sie im Hessischen geboren sind u noch leben, so glaube ich, wenn nicht auf eine nähere, doch jedenfalls auf eine entfertere Verwandschaft mit einiger Sicherheit schließen zu können. Vielleicht ist es Ihnen möglich, aus meinn unvollkommenen Mittheilungen wenigstens einige Data für unsere Meinung zu entnehmen u Sie würden mich glücklich, wahrhaft glücklich machen, wenn Sie in diesem Falle mich würdig halten möchten, ein Glied Ihrer Familie zu sein. Theilen Sie mir recht bald mit, was Sie hiernach von uns halten u lassen Sie es sich von mir aufrichtig versichern, daß wir nicht mit Makeln bhaftet sind u Ihren Namen nicht geschändet haben. Wir glauben ihn alle mit Ehre zu tragen u wollten uns stets dessen befleißigen, würdige Führer Ihres hohen Namens zu sein, und ich bin schon im Voraus glücklich, recht bald in den Besitz eines Anerkenntnißes von Ihrer Hand zu gelangen, das mich mit Recht zu einem Verwandten des hohen Meisters der Töne macht -
Aber diese Bitte erfüllen Sie mir, ich bitte Sie ganz besonders darum, lassen Sie mich durch Nichtbeantwortung dieser Zeilen nicht daran verzeifeln, daß ich nicht würdig von Ihnen erachtet worden bin sondern erfüllen Sie recht bald den ausgesprochenen Wunsch und machen2 Sie mich durch einige Zeilen, wenn es deren auch nur wenige sind, glücklich. Noch glücklicher würde ich mich schätzen, wenn ich Ihnen persönlich hätte bekannt werden können, aber dies ist zur Zeit nicht ausführbar. Dann aber würde ich zum nächsten Sommer auf Ihren Befehl zu Ihnen eilen und dann mündlich die Gefühle der Liebe erneuern, mit denen ich mich jetzt schriftlich Ihnen empfehle als

Ihren
Sie hochverehrenden Diener
Albert Spohr.
König. Preuß. Regierungs Secretair

Stettin in Pommern
am 23 Octbr 1847.

Autor(en): Spohr, Albert
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847102349

Spohr



Louis Spohr beantwortete diesen Brief am 29.10.1847.

[1] Hier gestrichen: „ich“.

[2] Hier gestrichen: „Sie zu“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.10.2017).