Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:16

Lieber Herr Capellmeister!

Sind Sie auch mit einem andern Titel1 begnadigt: die Adreße meines Briefes mag davon Meldung thun, ich aber kaum den vollen Titel, unter welchem Sie mir so innig lieb u werth geworden sind, nicht fahren lassen. Also lieber Herr Capellmeister! Ich könnte Ihnen heute ein langes Lied vorsingen von alle den Hemmungen meines beßten Willens, das freundschaftliche Verhältniß zu Ihnen durch Worte zu bekunden; aber ich will an dem Tage, dessen Wiederkehr mir die Feder in die Hand gibt, Ihnen nichts vorklagen von den vielen Arbeiten, die ein Nassauer Staatsdiener über sich nehmen muß. Nur das Eine muß ich Ihnen gegenüber thun, mich rechtfertigen, weßhalb ich so schweigsam bei Ihrer fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier gewesen bin. Ja! das ist merkwürdig zugegangen. Als die Zeitungen darauf hinwiesen, kam ich jubelnd zu Hause u es war eine ausgemachte Sache, daß ich persönlich meine Glückwünsche darbringen wollte. Unsere Hanauer Regierung gewährte sofort den Urlaub u ich freute mich wie ein Dieb darauf, einmal wie ein deus ex machina wieder in Ihnen mir so theuren Kreis treten zu können u nebenbei alle Kaßler Freunde, musikalische u unmusikalische, wiederzusehen u mich denselben gegenüber als Nassauer weidlich zu letzen an der glücklichen Wandlung meines Geschickes. Sie können sich also meine Betrübniß denken, als plötzlich in derselben Zeitung, die früher ein ganz falsches Datum der Feier angegeben hatte, bereits Bericht abgestattet wurde, auf welche Weise die Feier begangen worden sey. Noch ist mir im Leben keine Freude so verdorben. Aber es war ein fait accompli u bei derartigen Dingen sich zu beruhigen, lehrt denke ich die tägliche Politik. Nun kann ich aber diesen Brief dazu anwenden nachträglich meinen Glückwunsch mit demjenigen zu Ihrem Geburtstage zu verbinden u Ihnen auf’s Herzlichste zu sagen, wie sehnlichst ich wünsche, daß Sie noch lange Zeit den wohl erwarteten Ruhm u die Glorie genießen mögen, den Ihnen die Welt zollt u den ich Ihnen sogern gezollt habe, wie sehnlichst ich wünsche, Ihnen u Ihrer lieben Frau einmal persönlich meine Hochachtung bezeugen u in Erinnerung früherer Jahre auch verschenken zu können. Nun! ich denke, entweder führt Sie Ihre jährige Reise in den Süden oder mich der Herbst gen Norden u im ersten Falle hoffe ich darauf, schenkt mir Ihre Freundschaft ein Paar Stunden, wenigstens die Nachricht, wo ich Sie im Umkreise von einigen Stunden werde treffen können.
Soweit wäre mein Gratulationsschreiben eigentlich beendet, aber ich kann mir nicht versagen, Ihnen nebenebei einige Nachrichten von meinem Leben zu geben. Da will ich mit den trüben anfangen. Meine Frau hat mir am 16t Febr. ein Söhnchen geboren, das auf eine uns und dem Arzte noch immer unbegreifliche Weise sein junges Leben nur auf dreißig Stunden gebracht hat. Wir hatten Alles Schlimme von der Wiederkehr der schweren Zeit gefürchtet, aber die [???]liche Kurzsichtigkeit hatte gerade dieses, was wirklich eingetroffen, nicht gedacht. Gottlob! ist meine Frau ganz wieder hergestellt u die ganze trübe Zeit hat mir nichts als die trübe Gewißheit zurückgelassen, daß ich bei solchen Familienereignissen nie freudige Himmelsgewährung erleben soll. Nun! auch das muß getragen werden! – Sonst ist mein Leben gottlob! zufrieden u kann es seyn. Ich könnte Ihnen viele Beweise erzählen von der Humanität unserer Regierung u Sie wissen, wie meine ganze Zufriedenheit zu eng(?) von2 einer solchen bedingt ist. Ein inniges Vertrauen u gegenseitiges Wohlwollen zwischen Regierung u Ständen läßt die schönsten Früchte für die Zukunft hoffen u mich hat es innig gefreut, daß ich durch Berufung zu einer Commission mein Schärflein zur Verbesserung des Schulwesens habe beitragen können. Das Alles möchte ich Ihnen ganz erzählen, hier genügt es, darauf hinzuweisen, u mein Kopfschütteln zu motiviren bei den Vorkommnissen in Ihrem Lande.
Mein Frau läßt sich Ihnen u Ihrer lieben Frau empfehlen. Mein Willi ist nun auch bereits sieben Jahre alt u ein Drittklässler. Mein kleinster, Rudolph, hat ein merkwürdiges Gehör. Er singt als anderhalbjähriges Kind bereits so richtig alle Melodien nach, die er höchstens zwei bis dreimal gehört, u in den verschiedensten Tonarten, daß es eine Freude u vielversprechend ist. Vielleicht schlägt der etwas auf seinen Vater!
Ich bitte um Ihre fernere Freundschaft, um herzliche Grüße an Ihre Frau u Tochter etc. etc. u bin wie immer

Ihr
treuergebener
Firnhaber

Wiesbaden d. 4ten April 1847.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Firnhaber, Marie
Firnhaber, Rudolf
Firnhaber, Wilhelm
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847040448

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 03.04.1846. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 24.06.1847.

[1] Spohr bekam zu seinem 25-jährigen Dienstjubiläum den Titel „Generalmusikdirektor“ verliehen. Der erwähnte Briefumschlag ist derzeit verschollen.

[2] „von“ über gestrichenem „mit“ eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.12.2020).