Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Schletterer,H.M.:02

Fenestrange, Dep. de la Meurthe
am 22 März 1847.
 
Hochgerehrtester Herr Hofkapellmeister!
 
Als, während des Beethovens Festes, ich das Letztemal die Ehre halte, Ew. Wohlgeboren zu sprechen, erlaubte ich die Bitte an Sie richten, mit gütigst Nachricht dann zu geben, wenn sich eine passende Stelle für mich darbieten würde.
Vor einigen Tagen nun hat mir ein Freund geschrieben, daß die Musikdirektorstelle in Mainz ausgeschrieben ist. Da ich die Fähigkeiten zu besitzen glaube, einen derartigen Platz zu versehen, so habe ich an den Direktor der Liedertafel geschrieben und mich um besagte Stelle beworben; aber ich muß sehr am Erfolg meines Gesuch‘s zweifeln, da mir, in der musialischen Welt gänzlich unbekannten Manne wohl mancher zurückschrecken dürfte mir seine Stimme zu geben und es mir außerdem an Bekanntschaften u. Protektion ganz fehlt. In diesem Bedrängniss wage ich es, mich an Ew. Wohlgeboren, mit der dringenden Bitte, zu wenden, meiner Bewerbung mit wenigen Worten, da ich weiß wie unendlich eine dieselben vermögen, „an den wohllöblichen Vorstand der Liedertafel zu Mainz“ zu unterstützen.1 Sollten es Zeit und Umstände Ew. Wohlgeboren gestatten, mir sogleich (denn die Anmeldungszeit ist in einigen Tagen abgelaufen) eine derartige Gunst zu erzeigen, so glaube ich hoffen zu dürfen, daß meine Bemühungen um bemerkte Stelle nicht vergeblich sein werde.
Seit ich Kassel verlassen habe, war es mein stetes Bestreben durch unermüdlichen Fleis zu ersetzen und nachzuholen, was meiner musikalischen Ausbildung noch mangelte. Ich habe die Partituren und Werke aller Zeiten und Meister studirt und mich, nicht ohne Erfolg in allen Arten von Kompositionen versucht. Was mich aber besonders befähigen dürfte, mich um eine Direktorstelle, wie die besprochene zu bewerben, die dies, daß ich von Jugend auf, in Ansbach, Kaiserslautern, Kassel u. Leipzig, unterdem solche Vereine selbst leiten, oder doch das Beste in dieser Art hören konnte. Selbst hier ist es mir gelungen mit den schwächsten Kräften einen Männerchor zu bilden, wie ihn außer Paris und Lyon keine Stadt Frankreichs mehr aufzuweisen hat. Das mir übrigens noch fehlende, hoffe ich mit Aufmerksamkeit u. Fleis leicht nachholen zu können, wie denn jedenfalls mein eifrigstes Bestreben dahin gerichtet sein soll, der gütig anEmpfehlung Ew. Wohlgeboren alle in meinen Kräften stehende Ehre zu machen.
Seit zwei Jahren bin ich Musiklehrer am hiesigen Seminar und College, aber meine Lage ist so peinigend, daß ich entschlossen bin, auf Ostern meine Stellung zu entsagen, die mich von Tag zu Tag rückwärts gehen macht. Ich bin hier, daßer einem blinden Geiger, einem tauben Pfeifenbläser, u. einem lahmen Taburinschläger, welche drei das Orchester bilden und einem Strumpfweber, den den Organistendienst versieht, der einzige Musiker. Die einzige Begleitung zu meinen Concertstücken und Klaviersonaten bilden drei oder vier unter meinem Fenster rauschende und berauschende Mühlenräder; mehr aber als dies Alles, quält mich die Unempfänglichkeit die man überall für bessere Musik an den Tag legt, u daß fast mein ganzer Tag durch Unterrichtstunden der niedrigsten und quälendsten Art eingenommen. Seit den Concerten in Bonn habe ich keine Musik für Orchester mehr gehört und der Wanderer in glühender Sommerhitze kann nicht sehnlicher einem Labetrunke entgegen sehen, als ich einer Ouverture oder Sinfonie, oder einer Oper oder einem Oratorium. Wie oft rufe ich mir nicht jene glücklichen Tage zurück, in denen ich die Ehre hatte, unter der Direktion Ew. Wohlgeborn im Hoftheater zu spielen; die Concert- und Theaterzettel von damals sind mein Heilthümer die ich täglich less und schon längst aus wendig gelernt habe. Bleibt mir ja doch Nichts als die Erinerung an die schönste Zeit meines Lebens.
Nochmals nun wage ich es, Ew. Wohlgeboren, meine Bitte dringend ans Herz zu legen, und sollten meine Hoffnungen in dieser Sache fehlschlagen, so haben Sie die Güte sich meiner später zu erinnern.
Durchdrungen von dem Gefühle der tiefsten Hochachtung und Erfurcht für Ew. Wohlgeboren, meinem bis zum letzten Lebenszuge verehrten Lehrer,
unterzeichne ich als
 
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
H. Michel Schletterer.

Autor(en): Schletterer, Hans Michael
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Ansbach
Bonn
Fénétrange
Kaiserslautern
Kassel
Erwähnte Institutionen: Beethovenfest <Bonn>
Hoftheater <Kassel>
Liedertafel <Mainz>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847032240

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schletterer an Spohr, 23.08.1843. Da Spohr den von Schletterer in diesem Brief erwähnten Empfehlungsbrief nach Mainz sandte, ist wahrscheinlich, dass er dies auch Schletterer gegenüber brieflich bestätigte; dies lässt sich derzeit jedoch nicht belegen. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schletterer an Spohr, 15.04.1848.
 
[1] Vgl. Spohr an die Liedertafel Mainz, 27.03.1847.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.01.2019).