Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. HochWohlgeboren
Herrn Dr. Louis Spohr
Kurfürstl. Hessischer General-Musik-Director
Ritter etc. etc.
in
Cassel

franco


Hochgeehrter Herr!

Glauben Sie ja nicht, innigst verehrter Herr, daß das Ausbleiben meiner Glückwünsche bei Ihrem Jubelfeste1 aus Theilnahmlosigkeit geschehen. Ich bin Ihnen zu viel Dank schuldig, als daß ich jemals gegen Sie undankbar werden könnte. In der Zeit als Ihr Jubelfest gefeiert wurde, war ich dermaßen mit Geschäften überhäuft, daß sogar meine feste Gesundheit litt. Denken Sie daß wir wöchentlich 2 große Opern und Freitags noch 1 kleine gaben, daß wir höchst selten eine Oper wiederholen, und daß unser Chordirigent eine lange Zeit krank gewesen, und ich dessen angenehme Geschäfte auch noch habe versehen müssen, so glaube ich daß Sie mich gewiß entschuldigen. Jetzt aber rufe ich vom Grund meines Herzens; Es lebe zum Heil der Thonkunst noch recht lange glücklich und gesund unser erster und bester Meister: Spohr! Am vorigen Mittwoch spielte ich Ihr neues herrliches Concert, welches durch seine Schönheit allgemeine Sensation erregte. In der That ist unser Publikum und unsere fürstl. Familie für gute Musik sehr empfänglich, was sich in der Jessonda, die wir am 21sten Februar gaben wieder bewährte. Ich wünschte, den Abend wären Sie hier gewesen um den Enthusiasmus zu sehen, den Ihr himmlisches Werk hervorrief. Die Krone des Abends war unsere Dressler-Pollert. Sie war eine Jessonda nach dem Willen Gottes. Ich habe diese Parthie nie mit einer so herrlichen Stimme, mit so tiefem innigen Gefühle und die letzte Arie mit einer solchen schwärmerischen Begeisterung singen hören und dabei mit so einer wunderbaren Correctheit. Leider wird sie uns Ende Mai verlassen, da unser Theater im Sommer in Pyrmont und Osnabrück spielt2 und sie das Umherreisen nicht will. Deshalb frage ich in ihrem Namen bei Ihnen an, ob sie vielleicht nach ihrem hiesigen Engagement in Cassel zu Gastrollen gelangen kann. Ich kann nur das von ihr sagen, daß sie in jeder Hinsicht eine vollendete Sängerin ist. Ihr Repertoire ist überreich und sie singt sehr gerne. Denken Sie sich diese Ausdauer: am 7ten Februar Lestoq, am 10ten Freischütz, 14ten Oberon 17ten Othello 21. Jessonda 24. Fidelio 28. Entführung. Sie würden sich selbst eine große Freude bereiten wenn Sie diese ausgezeichnete Sängerin hörten. Sie würden mich unendlich verbinden, wenn ich hoffen dürfte, in dieser Angelegenheit einige Zeilen von Ihnen zu bekommen. Noch einmal empfangen Sie die aufrichtigsten Glückwünsche

von Ihrem ewig dankbaren
AugKiel



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Kiel, 31.12.1845. Die Datierung dieses Briefs erfolgt hier nach den Poststempeln. Demnach wurde der Brief am 13.03.1847 abgesendet. Spohr beantwortete diesen Brief am 15.03.1847.

[1] Spohrs 25jähriges Dienstjubiläum als Kasseler Hofkapellmeister.

[2] Das Hoftheater wurde von einem privaten Unternehmer betrieben, was betriebswirtschaftlich notwendig machte, auch in den benachbarten Städten Pyrmont, Osnabrück und zeitweilig Münster zu spielen (vgl. Hans Georg Peters, Vom Hoftheater zum Landestheater. Die Detmolder Bühne von 1825 bis 1969 (= Lippische Studien 1), Detmold 1972, S. 26f.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.06.2016).