Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Hochwohlgeboren
Herrn General-Musikdirector, Hofrath, Dr. Spohr
in
Cassel1


Dordrecht den 10ten Feb. 1847.

Hochverehrtester Herr Kapellmeister!

Zu meiner allergrößten Freude erhielt ich die Nachricht Ihres 25 jährigen Dienst-Jubiläums, den Ihnen zugekommenen Beweisen von Anerkennung Ihrer großen Verdienste u den dabei statt gefundenen Festlichkeiten, von meinem Vater und durch die Zeitungen. Wie glücklich es mich macht, Sie so allgemein geehrt und geliebt zu wissen, kann ich unmöglich beschreiben. Empfangen Sie auch meine allerherzlichste Gratulation zu diesem Ereignisse und meine innigsten Wünsche für Ihr stetes Wohl und dauerndes Glück und mögen Sie in gewohnter Kraft und Thätigkeit fort wirken! O hätte ich doch an jenem Tage in Cassel sein u Zeuge Ihrer Freude Ihnen sagen können wie unaussprechlich ich Sie verehre und liebe! Wie kann es auch wohl anders sein, als daß ich Sie verehre u liebe? In den langen Jahren wo ich fast beständig um ihren selgen Vater war, dessen Andenken mich Thränen der Rührung vergießen läßt, waren Sie fast ausschließlich unser einziges Gespräch. O, wie sind Sie von ihm geliebt! Hätte er doch diesen Tag erleben können u Ihre theure Mutter!
Ich bin aufgewachsen an Sie zu denken u Sie zu verehren. Schon in der Schule, als Knabe von 10 Jahren schrieb ich Briefe an Sie, die mir der Lehrer aufgegeben hatte. Wie kann es wohl anders sein, als dass ich Sie verehre u liebe! Von unendlich Vielen werden Sie bewundert u verehrt – von mir auch mehr – geliebt. Daher kommt es auch dass ich Ihnen in allen meinen Briefen dasselbe schreibe. ich kann nicht anders, denn ich fühle, empfinde, denke nicht anders. So sind Sie mir ein Vorbild in allen meinen Handlungen geworden und Ihnen, wenn auch nur in Etwas ähnlich zu werden, ist mein einziges Bestreben, mein größter Wunsch.
Auch Ihre Nachsicht, Güte u auf Ihr Wohlwollen bauend, erlaube ich mir Ihnen noch zu schreiben, dass es meiner Thätigkeit u berharrlichkeit in so fern gelungen ist die Musik hier auf eine leidliche Höhe zu bringen u ich muß Ihnen hochverehrtester Herr krapellmeister gestehen, ich blicke mit ein wenig innerer Zufriedenheit auf mein Werk. Mein Orchester das über 40 Personen, freilich meist Dillettanten zählt, führt nicht zu schwierige Sachen leidlich aus; dann habe ich ein HarmonieCorps von noch mehr Mitgliedern, die mit jenen wetteifern. Ferner bin ich die Ursache von dem Entstehen eines Gesangvereins, von einer Liedertafel u von einer Gesangschule und habe ich nun auch unsägliche Mühen davon, so thue ichs doch gern, theils weil mir Beschäftigung Bedürfniß ist u weil ich dadurch Gelegenheit habe meine Erfahrungen u Kenntnisse zu erweitern u in anderer Hinsicht verdiene ich, wenn auch nicht im Vergleich zu der Anstrengung, doch so dass es mir möglich ist, die ersten Pflichten von Dankbarkeit meinen Eltern zu erweisen u ich habe die Aussicht u das macht mich wahrhaft glücklich, auch Ihnen dankbar sein zu können. Wohl ist das Leben hier einseitig u noch mehr: das geistige liegt sehr dasnieder; jedoch suche ich mich so angenehm und nützlich zu beschäfftigen u dieses läßt mich eben weniger empfinden, was ich entbehre. Mit der Composition beschäfftige ich mich so viel, als es meine übrigen Verhältnisse erlauben, auch habe ich eine große Menge Bestellungen für Paris, die aber leider fast nichts einbringen. Meine 6te Ouverture ist am letzten Donnerstage in Rotterdam aufgeführt u ich habe Ursache mit der Ausführung zufrieden zu sein. Könnte ich doch endlich etwas hervorbringen um Ihnen zu senden; doch fürchte ich, daß meine Kräfte meinen Wünschen unterliegen.
Sollte es Ihnen, hochverehrtester Herr Kapellmeister nicht mög[lich] sein, u fordere ich nicht zu viel, wenn ich Sie bitte, mich mit ein Paar Zeilen zu begleiten? Und darf ich denn bitten mir zeitigst mittheilen zu wollen, was Sie in der letzten Zeit componirt haben u womit Sie isch gegenwärtig beschäfftigen? ich erlaube mir Ihnen meine Addr. beizufügen. Ferd. Böhme Op den Spuiweg by Msr. den Hartog.
Mich Ihnen u Frau Hofkapellmeister ganz gehorsamst empfehlend bitte ich um Ihre fortdauernde Güte u um Ihr ferneres Wohlwollen u um Entschuldigung, wenn ich in der Addr. fehle.
Empfangen Sie die Versicherung meiner unbegrenzten Hochachtung und Verehrung und treuer Ergebenheit

Ihr dankbarer Schüler
Ferdin. Böhme.

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Böhme, Christian
Spohr, Carl Heinrich
Spohr, Ernestine
Erwähnte Kompositionen: Böhme, Ferdinand : Ouvertüren, Nr. 6
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847021040

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 31.03.1846. Spohr beantwortete diesen Brief am 18.02.1847.

[1] Links auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „DORDRECHT / 10 / 2“; links über dem Adressfeld der Stempel „Franco tout“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.10.2020).