Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: [Friedrich Oetker], Spohr’s Jubel-Fest im Januar 1847, Kassel 1847, S. 23 (teilweise)

Verehrtester Meister!

Daß ich an Ihrer Jubelfeier1, welche die ganze musikalische und nicht musikalische Welt in freudige Bewegung gesetzt hat, wo es Jedermann, groß u. klein, sich für ein Glück und eine Ehre geschätzt hat, Ihnen seinen Glückwunsch darbringen zu dürfen, daß ich an diesem Ereigniß nicht persönlichen Antheil nehmen konnte, ich, dessen Herz Ihnen mit einer Fülle von Liebe und Verehrung entgegenschlägt, wie sie sich, ich behaupte es kühn, bei keinem einzigen von alle den Hunderten und Tausenden, die sich an dem Tage Ihrer Jubelfeier Glückwünschend in Ihrer Nähe gedrängt haben, vorfindet, ich sage, daß es an diesem schönen Tage nicht bei Ihnen sein konnte, sondern mich abermals genöthigt gleichsam verutheilt sah, meinem Gefühle Zaum und Zügel anzulegen und es in nichtssagenden, kalten, trockenen Worten dem Papier anzuvertrauen: das hat mich jetzt mehr als manches Andre, was in das Rad des Lebens hemmend eingreift, betrübt. Ich habe nie mehr als an jenem Tage gefühlt, wie schwer die Hand des Schicksals auf mir ruht, in welche engen Fesseln es mich geschmiedet hat. Und ein unheimliches Vorgefühl, eine dunkle Ahnung, daß ich mich niemals aus der Niedrigkeit herauswinden werde, mich niemals in die Reihe der tüchtigen, großen Künstler, mit einem Worte, mich nicht zu den Auserwählten werde zählen können, hat mich von dieser Zeit an erfasst, drückt wie ein kalter Nebel alle Lebensregung nieder und erfüllt meinen Geist mit einem finstern Unmuth. In diese Unmuth liegt auch der Grund meines bisherigen Schweigens. Ich hätte lieber, weil mich das Schicksal einmal um die Freude, Sie an dem Tage Ihrer Jubelfeier zu sehen, gebracht hatte, nun gar nicht schreiben mögen. Doch endlich verlangte doch das zu tief wurzelnde Gefühl sein Recht.
So nehmen Sie denn, verehrtester Meister, den in diesen Worten sich aussprechenden guten Willen für die That. Wenn jemals ein aufrichtiger Wunsch ein aufrichtiges Gebet gesprochen worden ist, so ist es gewiß das meinige, wenn ich wünsche und bete: der Himmel möge Sie uns noch lange, lange erhalten. O, stünde es in meiner Macht, Sie würden in ungeschwächter Kraft ein zweites Jubiläum feiern.
So empfehle ich mich denn, mit der Hoffnung, daß Sie mir auch ferner ein Plätzchen in Ihrem Herzen gönnen, Ihnen u. Ihrer Frau Gemahlin; und genehmigen Sie die Versicherung, daß ich
mit unwandelbarer Liebe u. Verehrung

bin und bleibe
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster

FKühmstedt

Eisenach am 28sten Jan.
1847

Autor(en): Kühmstedt, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
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Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847012840

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 12.08.1846. Spohr beantwortete diesen Brief am 07.03.1847.

[1] Spohrs 25-jähriges Dienstjubiläum als Hofkapellmeister in Kassel.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (30.07.2020).