Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: [Friedrich Oetker], Spohr‘s Jubel-Fest im Januar 1847, Kassel 1847, S. 21 (teilweise)

Delmenhorst Januar 15. 1847.

Hochwohlgeborner,
Hochzuverehrender Herr Capellmeister!

Vielleicht werden Sie sich noch des Unterzeichneten erinnern, welcher im Jahre 1845. die Freude hatte, Sie und Ihre geehrte Frau Gemahlin bey Ihrer Rückreise durch Delmenhorst auf einige Stunden bey sich zu sehen.1 Welche Freude mir Ihr Besucht gewährte, mögen Sie daraus abnehmen, daß ich im Jahr 1836. wo ich zur Wiederherstellung meiner esundheit einige Zeit in Pyrmont zubrachte, vor dort aus, obgleic höchst unwohl, dennoch eine Reise nach Cassel machte, und zwar nur aus dem Grunde, um meine Sehnsucht zu befrieigen, Sie, dessen Tonschöpfungen einen so großen Eindruck auf mich gemacht, persönlich kennen zu lernen. - Es ist die Musik der Hauch meines Lebens gewesen, soweit ich in dasselbe zurückzublicken vermag, und noch jetzt ist sie mein innterstes Leben, - zu ihr kehren stets meine Gedanken zurück nach den Geschäften, welche mein Amt mir auferlegt. Eine lebhafte Phantasie, welche mir die Natur verliehen führte mich bey dem Mangel an Gelegenheit, gutausgeführte Kusik zu hören, schon früh zu dem Studium der Partituren, und mein geistiges Gehör wurde auf diese Weise in dem Grade geschärft, daß ich bey dem Notenlesen die Instrumente in einer Klarheit, Bestimmtheit und Schönheit vernehme, wie bey musicalischen Aufführungen solche nur selten der Fall ist, wobey noch hinzukommt, daß ich bey dieser Weise nicht durch ein unrichtig genommenes Tempo, wodurch der Dirigent oft den ganzen Character eines Musicstückes vernichtet, in meinem Genusse gestört werde. - Natürlich kann mir bey diesem musicalischen Treiben nur solche Music zusagen, welche wahren geisteigen Werth besitzt, diese verschafft mir aber dann auch eine unendliche Freude.
Wie sollte ich mich indeß nicht stets dankbar jener Männer erinnern, die mir durch ihre Tonschöpfungen mein Leben verschönern, - wie sollte ich mich nicht gedrungen fühlen, diesen Dank da auszusprechen, wo es mir vergönnt ist. Bey Mozart und Beethoven, welche nicht mehr unten den Sterblichen weilen, ist mir solches nicht vergönnt, wohl aber bey Ihnen, hochgeehrter Herr Capellmeister! und ich kann es mir nicht versagen, meine innigsten dankbarsten Gefühle, wie ich sie seit so vielen Jahren bereits für Sie gehegt, laut werden zu lassen bei der Feier Ihres 25jährigen Dienstjubiläums.2 - Es lebt in Ihren Tönen ein schöner edler Geist; man fühlt sich gehoben durch Ihre Tonschöpfungen. Sie sind Ihrem Genies nie untreu geworden. Sie haben das Ganze des Schönen bey Ihrem Schaffen nie übertreten, stets haben Sie Ihr hohes Ziel fest im Auge behalten. Sie sind mir durch Ihre Tüchtigkeit und Biederkeit bey Ihrem musicalischen Streben, durch den hohen Sinn, welcher sich in Ihren Tönen ausspricht, durch die Zartheit sowie durch die Kraft Ihrer musikalischen Gedenken, durch die Entwickelung derselben, durch die Abrundung des Ganzen, sowie durch die Feinheit und das Geschmackvolle in der Instrumentation Ihrer Werke, unendlich theuer geworden, und es macht mir Freude, meine Gedanken hierüber gegen Ihren in wahrhaft kindlicher Verehrung Ihnen ergebenen Schüler, den Herrn Professor Pott aussprechen zu können. - Mögen alle die Wünsche in Erfüllung gehen, welche Ihre dankbaren Verehrer für Ihr Wohl hegen! Möge jegliche Gefahr Ihnen fern bleiben; möge der Himmel Ihnen Ihre Kraft und Gesundheit bewahren zu einer heitern Feier Ihres 50jährigen Jubiläums, zum Heile der Kunst, zur Freude aller wahren Verehrer derselben.
Ich schließe mit dem innigsten wärmsten Danke für die hohe Freude, welche mir die Werke Ihres Genius bereitet haben und noch stets bereiten und empfehle mich Ihnen und Ihrer geehrten Frau Gemahlin

hochachtungsvoll und ergebenst
C. Sydikum.

Autor(en): Sydikum, Johann Heinrich Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Beethoven, Ludwig van
Mozart, Wolfgang Amadeus
Pott, August
Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Pyrmont
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1847011548

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 07.02.1847.

[1] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 22.06.1845.

[2] Vgl. [Friedrich Oetker], Spohr‘s Jubel-Fest im Januar 1847, Kassel 1847.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.05.2017).