Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,30
Druck: Karl Traugott Goldbach, „,... daß die dabei gehaltene Predigt großentheils gegen sein Oratorium gerichtet war'. Zur Rezeption von Des Heilands letzte Stunden in Großbritannien”, in: Die Oratorien Louis Spohrs. Kontext – Text – Musik, Göttingen 2015, S. 307-339, hier S. 329 (teilweise)

Professor Taylor
Gresham College
London.

frei.


Cassel den 20sten
Dec. 1846

Mein theurer Freund,

Ihr lieber Brief vom 11ten dieses hat uns nun fest bestimmt, in der nächsten Ferienzeit nochmals eine Reise nach London zu unternehmen. Ich bin mit den Anerbiethungen der Gesellschaft1 vollkommen zufrieden und nehme sie mit Dank an. Ich werde meine Überkunft nach London so viel wie möglich zu beschleunigen suchen und spätestens am 1sten Juli dort eintreffen. Zu der Wahl der zu gebenden Oratorien kann ich keinen Rath ertheilen, da ich nicht weiß, ob und wie oft ein jedes derselben in London gehört worden ist. Wäre dieß gleich, so würde ich den „Fall Babylons“ vorziehen, da dieß Oratorium leichter und zugleich imposanter als „des Heilands letzte Stunden“ ist. Zu den „letzten Dingen“ würde wohl am passendsten das „Vater Unser“ gegeben werden können. Sollte man aber etwas Neues, in London noch unbekanntes zu geben wünschen, schlage ich die „Hymne an Gott“2 vor, welche im vorigen Sommer in Birmingham unter Moscheles Leitung aufgeführt wurde3 und welche in Partitur mit englischem Text bey Simrock in Bonn gestochen ist. Ich würde den neuen Psalm von Milton vorschlagen, wenn er nicht zu kurz wäre. - Nun habe ich noch einen recht angelegentlichen Wunsch auszusprechen, den Sie der Gesellschaft gefälligst mittheilen wollen. Es ist der, daß das Orchester aus recht tüchtigen Leuten gebildet werde, damit es des trefflichen Chors würdig sey! Bey der Aufführung des „Fal Babylons“ die ich dirigirte, war in dieser Beziehung noch manches zu wünschen übrig, besonders bey den Blasinstrumenten. Sie wissen, wie schwer die Orchesterparthie bey meinen Oratorien ist und wie sehr ein gutes Orchester die Wirkung steigern kann, und werden daher meinen Wunsch sehr natürlich finden!
Den neuen Psalm instrumentire ich jetzt für großes Orchester. Sobald ich damit fertig bin, werde ich mich um eine Gelegenheit bemühen, ihn Ihnen zu schicken!
Unsere Concerte und Musikparthien sind in vollem Gange und finden diesen Winter recht viele Theilnahme. Wir erinnern uns dabey sehr oft der lieben Margarethe, die während ihres Aufenthalts in Cassel so viele Freude daran fand! Kürzlich hatte meine Frau die Freude, einen Br. von ihr zu erhalten, den sie auch nächstens beantworten wird.
Die 2te italiänische Oper in London4 wird in der nächsten Saison schon mit der andern wetteifern können, da die Lind als Prima Donna engagirt ist. Auch Pischek, der berühmte Bariton, soll engagirt seyn. Das wird unter den Sängern einen Wettkampf geben!
Leben Sie wohl und grüßen Sie die lieben Ihrigen auf das herzlichste von uns.
Mit inniger Freundshaft stets ga[nz]

der Ihrige
Louis Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Taylor an Spohr, 11.12.1846. Taylor beantwortete diesen Brief am 30.01.1847.

[1] Sacred Harmonic Society.

[2] „Gott, du bis groß“.

[3] Vgl. „Birmingham, im August“, in: Allgemein musikalische Zeitung 48 (1846), Sp. 647.

[4] Covent Garden.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.02.2019).