Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Alfeld den 1t Decbr. 1846

Wohlgeborner Herr!
Hochzuverehrender Herr Kappelmeister!

Ihnen wird schon längst bekannt seyn daß unsere Stadt in jenen beyden Schreckenstagen als am 2t und 3t Juni d.J. durch eine Feuersbrunst schrecktlich verwüstet worden ist. Das Feuer griff so schnell um sich daß als ich zu Haus kam, wo die Flammen nur erst drey Stunden gewüthet hatten schon 104 Wohnhäuser mit Scheunen, Ställen und Nebengebäuden 370 Gebäude in hellen Flammen standen1; ich war mit meinem ältesten Sohn welcher vierzehn Jahr alt ist auf einer Musik-Aufwartung, zwey Stunden von Alfeld entfernt, als ich die schreckliche Kunde erfuhr lief ich ohne noch etwas zu kümmern gleich zu Haus, denn ich wußte in diesen furchbaren Flammen meine Frau mit vier unschuldigen Kindern, wovon das älteste 11 und das Jüngste 1/2 Jahr alt war, wer sollte nun was retten wenn noch was zu retten war? aber auch leider fand ich meine Wohnung in hellen Flammen und alle waren daraus entflohen an retten war nicht mehr zu denken, denn der erste Gedanke war an Frau und Kinder, ob diese auch wohl nicht in diesen gräßlichen Flammen zu schaden gekommen waren, als ich dann nach vielen Erkundigungen endlich am 3t Juni des Morgens meine Frau mit dem kleinsten Kinde vor dem Thore im Garten, die übrigen drey schlafend im Wallgraben fand, da erst war es mir möglich mich wieder nach meine Wohnung und Haabe umzusehen aber leider fand ich alles in Asche verwandelt.
Da ich nun fest überzeugt bin daß es nur des Anstoßes in Kassel bedarf von einem so Einfluß reichen und wohlwollenden Mann wie Sie sind hochzuverehrender Herr Kapellmeister, so lege ich die Bitte an Ihr Herz bey dortigen Herrn Kunstverwandte ein Wort der Barmherzigkeit für mich zu sprechen um mich mit ihrer gütigen Unterstüztung in meiner jetzigen traurigen Lage beyzustehen. Ich hätte es nicht gewagt, mich mit einer Bitte Ihnen zu nahen, wenn ich nicht die Ehre hatte Sie hochzuverehrender Herr vor mehreren Jahren in Gandersheim im Concert zu sehen und von Ihren wohlwollenden Carakter überzeugt wäre.
Ich bin Musikus, aus Hasselfelde am Unterharz gebürtig, habe sechs Jahr in Blankenburg gelernt, bey dem damaligen Stadt-Musikus Hartung in Blankenburg, im Jahre 1829 wurde ich Soldat in Braunschweig, kam von da hier nach Alfeld in Condizion von woaus ich auch damals mit in Concert in Gandersheim war, verheyrathete mich nach dem ich vier Jahr hier in Condizion gewesen war und verlohr nun in jener unglücklichen Nacht ziemlich alles was ich in den vielen Jahren sauer verdient hatte. Wenn nun gleich im vergangenen Sommer bey der milden Luft das Nachtlager nach saurer und gemachter Arbeit dienen mußte zum Ausruhen der müden Glieder, so denke ich doch mit Grauen an den uns bevorstehenden und schon eingetretenen Winter, wo ich mit meinen unschuldigen Kindern in einem noch nicht einmal zur Hälfte fertigen Gebäude zubringen muß halb ohne Betten und sonstiger warmer Kleidung, wenn sich nicht gut gesinnte Menschen meiner erbarmten und mich nach Kräften unterstüzten, und dazu bedarf es ja nur eines Wortes von Ihnen hochzuverehrender Herr Kappellmeister2 und ein jeder von dortigen Ihrer Kunstverwandten wird die Lage eines unglücklichen Collegen um etwas erleichtern suchn. Alle Gilden und Sunften3 haben schon längst an ihre abgebrannten Mitgenossen ihre milden Beyträge eingesand da ich aber nicht glaubte mit ähnlicher Bitte zu beschweren so bitte ich herzlich oben angegebenen Punkt zu berücksichtigen woraus meine traurige Lage hievorgehn wird und es nicht übel zu nehmen noch so spät mit meiner Bitte zu belästigen.
In Hoffnung keine Fehlbitte gethan zu haben und bereit zur Annahme und sey es noch so geringer Gabe habe ich die Ehre mit zu nennen

Euer Wohlgeboren
ergebenster
H. May
Musikus in Alfeld


Daß´der Musicus May hieselbst durch den hier stattgehabten Brand am 2 u. 3 Juny dJ seine größte Habe verloren und mit seiner Familie in sehr dürftigen Umständen lebt, wird hiemit bescheinigt. Alfeld 2 Dec 1846.

Der Magistrat hieselbst
Weissenborn
Senator4

Autor(en): May, H.
Weißenborn, Julius Ludwig
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hartung (Stadtmusiker in Blankenburg)
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Alfeld
Blankenburg
Gandersheim
Hasselfelde
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846120145

Spohr




Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
[1] Vgl. „Hannover, vom 4. Juni“, in: Düsseldorfer Zeitung 08.06.1846, S. [2]; „Hannover, vom 5. Juni“, in: ebd.,09.06.1846, S. [2].

[2] Sic!

[3] Wohl gemeint: „Zünfte“.

[4] Links neben der Unterschrift befindet sich der Stempel „STADT / ALFELD“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.07.2022).