Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Abschrift: Computerdatei von Herfried Homburg († 2008) nach einer Abschrift von Franz Uhlendorff
Druck: Franz Uhlendorff, „Hugo Staehle (1826-1848). Komponist“, in: Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1890-1930, hrsg. v. Ingeborg Schnack (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 20), Bd. 3, Marburg 1942, S. 345-354, hier S. 351 (teilweise)

Cassel den 24sten Nov. 1846.
 
Geliebter Freund,
 
Mir ist jede Veranlassung, Ihnen zu schreiben, eine erwünschte, also auch die, daß der Überbringer dieser Zeilen, Herr Haupt, mich gebeten hat, ihn bey Ihnen einzuführen. Er ist Komponist und hat in Frankfurt a/m, wo er bis jezt wohnte, durch seine Tongemälde, besonders durch einen Frühlingstag Aufsehen erregt, wie ich von mehreren Seiten gehört habe.1 Da er hier, wie so viele andre keine Erlaubnis zu einem Concert im Theater erhalten konnte, so haben wir von seinen Kompositionen nichts gehört. Das obige Stück habe ich aber in Partitur gelesen und vieles hat mir gefallen. Es mag wohl durch die Berlioz’schen und David’schen Kompositionen hervorgerufen seyn. Herr H. äußert sich über seine Arbeiten sehr bescheiden, mögte gern in Leipzig sich einige Zeit fixiren, um recht ernstliche Kompositionsstudien zu machen und hofft dabey auf Ihren Unterricht. Ich habe ihm zwar wenig Hoffnung dazu machen können, jedoch gern dieser Bitte den Weg bahnen wollen.
Von unsern Abonnements-Concerten ist nun vor 8 Tagen das erste gewesen. Wir hatten eine sehr brillante Kasseneinnahme und wollen alles aufbiethen, um jedesmal so viele Nichtabonnenten hineinzuziehen. Morgen über 8 Tage soll uns dieß, wie wir hoffen, mit der Schlacht von Vittoria von Beethoven gelingen und wir wollen’s an Lärm aller Art nicht fehlen lassen. Im ersten Concert hatten wir Die schöne Melusine, die 7te S[ymphonie] von Beeth[oven], 3 Gesangstücke, worunter eins von Schmetzer aus Braunschweig (der hier gastirt, weil Derska krank war) gesungen, ein Hornconcert2 und meine neue Quartettconcertante, die dieses Mal wirklch äußerst genau und gut einstudirt war.3 -
Ganz wieder alles Erwarten hat der Prinz die Aufführung der Staehle’schen Oper genehmigt und binnen kurzem werden die Proben beginnen.4 Die Musik hat mich in der That durch ihre Frische, gute Erfindung, ansprechende Melodien und sehr gute Instrumentirung überrascht und ich konnte mit gutem Gewissen vortheilhaft darüber berichten. Auch hoffe ich, die Oper wird Glück machen, da aus dem Hofmeister’schen Buche die größten Dummheiten noch glücklich herausgebracht sind.
Vor einigen Tagen ist die Einladung: in der nächsten Ferienzeit meine Oratorien in London zu dirigieren, wiederholt worden und so werden wir wohl im nächsten Sommer noch einmal nach England gehen. Ich habe so eben einen [Psalm] nach Milton’schen Worten beendigt, den ich dann auch dort zur Aufführung bringen werde.
Unsre Quartettparthien sind auch in vollem Gange und erwerben sich immer mehr wahre Theilnahme. Da Knoop ganz eminente Fortschritte gemacht hat und für Deichert nun Bott eingetreten ist, so gehen sie aber auch wirklich besser wie jemals und ich habe oft an dem Ensemble meine wahre Freude.
Leben Sie wohl. Die herzlichsten Grüße an Ihre liebe Frau. Mit inniger Freundschaft stets ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr



Der letzte belegte Brief dieser Korrespondenz ist Hauptmann an Spohr, zwischen 13. und 20.08.1846. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Hauptmann an Spohr, 21.01.1847.
 
[1] Vgl. [Ergänzung 10.03.2022: Charles Hodges an Spohr, 14.09.1846;] [Ergänzung 08.06.2020: Spohr an Hodges, 20.09.1846;] C[arl] G[ollmick], „Frankfurt a.M. Vom 1. Januar bis 31. März 1846”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 48 (1839), Sp. 300-305, hier Sp. 302f.; F.J., „Konzert des Herrn Moritz Haupt”, in: Didaskalia 21.01.1846, ohne Paginierung; [Ergänzung 08.06.2020: „Aus Frankfurt a.M. (Eingesandt.)“, in: Neue Zeitschrift für Musik 24 (1846), S. 55f.; Frankfurt a/m“, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung 6 (1846), S. 123f., hier S. 124].
 
[2] Adagio und Polonaise von Carl Daniel Lorenz.
 
[3] Vgl. „Aus Cassel”, in: Neue Zeitschrift für Musik 26 (1847), S. 11f.
 
[4] Vgl. ebd., S. 12.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.12.2016).