Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Herrn
Hof-Kapellmeister, Dr. Louis Spohr
Wohlgeborn
zu
Cassel
frei1
Sehr geehrter Herr Kapellmeister.
Bereits seit mehreren Jahren habe ich den Wunsch gehegt, durch einige Zeilen Ihnen zu danken, für die vielen Genüsse, welche mir Ihre herrlichen Compositionen schon verschafft haben; doch der Gedanke, daß Ihre Zeit durch gar manche Briefe ähnlicher Art wohl von anderen Seiten her schon genug gekürzt wird, hat mich bisher zurück gehalten. Jetzt aber liegt ein besonderer Grund vor, der mich bestimmt, Ihnen diese Zeilen zu senden, und bitte ich Sie, vorehrter Meister, mir ein kurzes, freundliches Gehört nicht zu versagen. Seit 4 Jahren habe ich die Direction der 24 Abonnementconzerte hierselbst, zu denen noch circa 10 so gut wie feststehenden, große Extraconzerte kommen, eben so die Direction der Liedertafel, bestehend aus ohngefähr 70, u des Gesangvereins, aus circa 130 mitwürkenden Mitgliedern bestehend. Das Orchester enthält 12 erste, 10 zweite Violinen, 6 Bratschen, 5 Celli u 5 Contrabässe u alle erforderlichen Blasinstrumente, und nimmt, ich glaube2 es ohne unbescheiden zu sein behaupten zu können, unter Deutschlands Orchestern gewiß eine3 sehr ehrenvolle Stelle ein. Diese nicht unbedeutenden Mittel setzen mich, (wenn der pecuniäre Ertrag für mich auch nur unbedeutend ist,) in den Stand, die Werke der Meister unserer Kunst auf eine nicht unwürdige Weise zur Aufführung zu bringen, und wie groß meine Verehrung von Ihren Compositionen ist, mögen Sie daraus entnehmen, daß ich in jedem Winter wechselweise wenigstens 3 Ihrer Sinfonien, so wie eine Anzahl Ihrer Ouvertüren zur Aufführung bringen, u zwar auf eine Weise, die, wie mir von gar manchen Ihrer Schüler versichert worden ist, selbst Ihren gütigen Beifall wohl erhalten hätte; wenigstens kann ich Sie versichern, daß ich mit der größten Liebe, und dem ausdauernsten Fleiße gerade an Ihre Compositionen gehe4, und will ich nicht unerwähnt lassen, daß es das unvergleich schöne Adagio Ihrer Sinfonie Nro 3 in c mol war, wo es mir vor 4 Jahren5 gelang, unserm, früher bey Anhörung von Sinfonien ziemlich kalten Publicum, die lautesten Beweise des größten Beyfalls6 abzunöthigen, während früher eigentlich nur Beethovens c mol fünf. u Webers Oberon Ouvertüre auf diese Weise ausgezeichnet wurden. Jetzt nimmt man aber ein in der That sehr reges Interesse, wie man es außer Leipzig noch sehr wenig finden dürfte, an der Aufführung unser herrlichen Sinfonien, so daß ich manche während eines Winters wohl 3 Mal auf Verlagen vorführen muß, was namentlich auch mit der: Weihe der Töne der Fall war7. Diese, so wie Ihre Doppelsinfonie bilden Glanzpunkte meines wackern Orchesters8. Erstere9, die Weihe der Töne gebe ich heute über 8 Tage in einem großen Conzerte, welches jährlich zum besten des Pensionsfonds des Orchesters Statt findet, und wäre es wohl mein sehnlichster Wunsch, Ihnen selbst einmal dieses wundervolle Tonwerk vorführen zu können, u noch besser, wenn Sie unserm Orchester einmal die Ehre Ihrer Direction könnten zu Theil werden lassen. Aber nicht blos Ihre Instrumentalwerke, Quartetten etc eingeschlossen, sondern auch Ihre Vocalcompositionen werden fleißig executirt. Ihre Jessonda habe ich, freilich nur die ersten beyden Acte, bereits mehrere Male in Conzerten aufgeführt, und macht zum Beyspiel das Finale zum 2t Acte, ausgeführt von einem Chor von circa 150 Personen, (wegen der Kriegerchöre nehme ich außer dem Gesangverein auch noch die Liedertafel zu hülfe,) eine unbeschreiblich schöne Würkung. Ich komme jetzt nun zu dem Punkte, welcher mich nöthigte, Sie mit diesem langen Briefe zu belästigen. Als vor etwa 20 Jahren bey einem Musikfeste zu Halberstadt unter Ihrer Direction Ihr herrliches Vaterunser, Mahlmanns Gedicht, aufgeführt wurde10, spielte ich erste Violine mit, und war der Eindruck auf mich ein unvergesslicher. In ohngefähr, u zwar spätestens 3 Wochen, werde ich es hier, mit 180 Personen zur Aufführung bringen; doch – es fehlen mir die Orchesterstimmen. Bey einer Reise zum diesjährigen Cölner großen Männergesangfeste lernte ich H. Professor Firnhaber in Wisbaden11 einen eben so liebenswürdigen als interanten12 Mann kennen13, welche die Güte hatte, sich meiner auf eine äußerst zuvorkommende Weise anzunehmen. Wir haben mehrere Tage zusammen sehr angenehm verlebt, u namentlich uns über Sie u Ihre Compositionen sehr ausführlich unterhalten, da auch er ein aufrichtiger Verehrer von Ihnen ist, und hat mir derselbe versprochen, auch ein gutes Wort wegen einer von mir an Sie zu richtenden Bitte einzulegen; ob er es gethan, weiß nicht nicht. Ich wage nämlich die Bitte, ob ich durch Ihre Güte die Orchesterstimmen zu Ihrem Vaterunser erhalten kann; u wenn dies der Fall, wie lange ich dieselben behalten darf, da es leicht möglich, daß Ende Januar oder Anfang Februars eine Wiederholung des Werkes Statt fände. Daß die Aufführung eine möglichst gelungene werden wird, glaube ich versichern zu können, denn auch der Gesangverein hat die Composition sehr lieb gewonnen, u studirt mit dem größten Eifer. Ich bitte nun wegen meines langen Schreibens u meiner Bitte um gütige Entschuldigung, und harre ich einiger Zeilen von Ihnen, wodurch Sie eine recht herzliche Freude machen würden
Ihrem
ganz ergebensten
Julius Mühling. jun.
Musikdir. u Organist.
Magdeburg
d. 7t Nov 1846.
Autor(en): | Mühling, Julius |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Firnhaber, Carl Georg |
Erwähnte Kompositionen: | Beethoven, Ludwig van : Sinfonien, op. 67 Spohr, Louis : Irdisches und Göttliches im Menschenleben Spohr, Louis : Jessonda Spohr, Louis : Sinfonien, op. 78 Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 67 Spohr, Louis : Die Weihe der Töne Weber, Carl Maria von : Oberon |
Erwähnte Orte: | Halberstadt Köln Magdeburg |
Erwähnte Institutionen: | Elbe-Musikfeste <wechselnde Orte> Gesangfest <Köln> Liedertafel <Magdeburg> Orchester <Magdeburg> Seebachscher Gesangverein <Magdeburg> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846110745 |
Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „MAGDEBURG / 8 / 11 / 12 - 1“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „10 NOV [1846]“.
[2] Hier gestrichen: „unter“.
[3] Am Wortende gestrichen: „n“.
[4] „gehe“ über der Zeile eingefügt.
[5] „vor 4 Jahren“ über der Zeile eingefügt.
[6] Hier gestrichen: „zu“.
[7] Vgl. J., „Magdeburg am 26. November 1841“, in: Jahrbücher des deutschen National-Vereins für Musik und ihre Wissenschaften (1841), S. 398.
[8] Zur Rezeption der Doppelsinfonie Irdisches und Göttliches im Menschenleben in Magdeburg vgl. dagegen E[rdmann] Sch[efter]., „Aus Magdeburg“, in: Neue Zeitschrift für Musik 24 (1846), S. 60 und 64, hier S. 64.
[9] Am Wortende gestrichen: „s“.
[10] Nicht ganz vor 20 Jahre, sondern im Jahr 1833 (vgl. „Das sechste Elb-Musikfest, gefeyert zu Halberstadt am 19ten, 20sten und 21sten Juny“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 35 (1833), Sp. 496ff.;hier Sp. 497; „Halberstadt, Musikfest am 19., 20. und 21. Juni“, in: Iris im Gebiete der Tonkunst 4 (1833), S. 107f.. hier S. 108).
[11] Sic!
[12] Sic!
[13] „kennen“ über der Zeile eingefügt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.04.2022).