Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,27
Druck: Wolfram Boder, Die Kasseler Opern Louis Spohrs. Musikdramaturgie im sozialen Kontext, Bd. 1, Kassel 2007, S. 64 (teilweise)

Professor Edw. Taylor
Red Lion Court
Fleet Street
printing office
London
 
 
Cassel den 13ten Sept.
1846.
 
Mein geehrter Freund,
 
Da eine Dame1, die nach London reiset, sich erbiethet, einen Brief mitzunehmen, so kann ich dem Drange, Ihnen zu schreiben nicht wiederstehen. - Von Ihrer Reise nach Frankreich sind Sie nun hoffentlich gesund und vergnügt, zurückgekehrt und haben,wie wir es von Herzen wünschen, die lieben lhrigen ebenfalls wohl angetroffen. Auch wir waren, seit ich Ihnen das letzte Mal schrieb, gesund und haben auf der Ferienreise manches interressante gesehen, gehört und erlebt, obgleich ich fast 4 Wochen in Carlsbad zur Kur verweilen mußte. Vorher verlebten wir 5 Tage in Mendelssohn's Gesellschaft sehr musikalisch in Leipzig2 und nach Carlsbad3 machten wir noch eine kleine Reise, auf der wir Gegenden berührten, die uns noch unbekannt waren.4
Seit unserer Rückkehr habe ich aber wieder einen Verdruß gehabt und zwar von der Sorte, wie sie mir durch unsern Prinzen oft zu Theil werden. Er hat mir nämlich wieder einen Urlaub geweigert zu einer Reise im November nach Wien, wohin ich eingeladen war, um den „Fall Babylons“ in 2 Aufführungen bey denen 1100 Sänger und Spieler mitwirken sollten, zu dirigiren und wie damals die Verwendung der Königin von England des Herzogs von Cambridge fruchtlos blieben5, so hat es auch dieses Mal nichts geholfen, daß Metternich aus der kaiserlichen Staatskanzley durch die hiesige Öster. Gesandschaft um den Urlaub bitten ließ.6 Ich weiß nun noch nicht einmal, ob das Oratorium, da ich die Direction nicht übernehmen kann, gegeben werden wird, oder ob man eine andere Wahl trifft, um einen andern Director einladen zu können.
Doch zu etwas Angenehmeren! Ich habe begonnen einen Psalm von Milton für Chor, Solostimmen und Orchester in der Ursprache zu componiren und hoffe, daß ich mit Hülfe meiner Frau mich vor Mißhandlungen der Sprache bewahren werde. Die Arbeit macht mir viel Freude und ich werde so bald ich fertig bin, die erste Gelegenheit benutzen, um Ihnen eine Abschrift davon zu überschicken. - Vor einigen Wochen war Herr Banfield7 hier und überbrachte mir8 das freundliche Geschenk von unserm lieben Kinde Margarethe die schon lange angekündigte Brieftasche oder vielmehr Briefmappe.9 Sollten Sie ihr schreiben, so bitte ich ihr zu sagen, daß ich mich sehr über das schöne Geschenk gefreut habe und nochmals herzlichst danken lasse.
Mit der Bitte um die herzlichsten Grüße an alle lieben Ihrigen und mit den Gefühlen wahrer Freundschaft ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr
 
NS. Den Brief meiner Frau an Margarethe von Carlsbad aus, wird diese doch wohl richtig erhalten haben?



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Taylor an Spohr, 27.04.1846. Taylor beantwortete diesen Brief am 10.11.1846, dessen Postweg sich mit Spohr an Taylor, 09.11.1846 überschnitt. 
 
[1] Noch nicht ermittelt.
 
[2] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 22.-26.06.1846.
 
[3] Vgl. ebd., 28.06.-24.07.1846.
 
[4] Vgl. ebd., 24.-29.07.1846.
 
[5] Vgl. Taylor an Spohr, 24.06.1842.
 
[6] Vgl. Spohr an Friedrich Schneider, 12.09.1846; „Wien“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 48 (1846), Sp. 647.
 
[7] Vermutlich Thomas Charles Banfield, der von Taylors Bruder Richard und Sohn John verlegt wurde (The Austrian Empire. Her Population and Resources, London 1842; Six Letters to the Right Hon. Sir Robert Peel, Bart. Being an Attempt to expose the dangerous Tendency of the Theory of Rent advocated by Mr. Ricardo, and by the Writers of his School, London 1843; Four Lectures on the Organization of Industry, London 1845) und 1846 auch Kassel besuchte (vgl. Banfield, Industry of the Rhine, Bd. 2 Manufacturers, London 1848, S. 187).
 
[8] „mir“ über der Zeile eingefügt.
 
[9] Vermutlich handelt es sich dabei um eine Briefmappe, die heute im Bestand des Spohr Museums ist [Ergänzung 28.04.2020: (vgl. Inv.-Nr. Sp. eph. 02)].

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.02.2019).