Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18460804>

An
Madame Emilie Zahn
geb. Spohr
New York
Nro. 569 Broadway Corner
of Prince.

frei
Havre de Grace


Cassel den 4ten August
1846.

Siehe die Nachschrift!

Liebe Emilie,

Dein vorletzter Brief1, dessen Ton und Inhalt uns allen mit frohem Entzücken erfüllte, hatte mir zum ersten Mal Zutrauen zu Deines Mannes Geschäft erweckt und die Sorge die mich seit deiner Abreise keinen Augenblick verließ, fing endlich einmal an, in den Hintergrund zu treten. Nun reißt leider Dein letzter Brief, den uns Ida gestern brachte, alle die schönen Hoffnungen, die der vorletzte uns in der Ferne zeigte, wieder ein und ich sehe mit Kummer, daß es nur abermals eine Selbsttäuschung war, die dich die Zukunft so heiter erblicken ließ. Wie könnte ich nach solchen Vorgängen noch irgend eine Hoffnung für's Gelingen Eurer Unternehmungen hegen und wie könnt' und dürft' ich noch eine neue Summe dem Verlust der anderen beystellen?! Die Pflicht, mir, und nach meinem Tode, deiner Schwester2 die Mittel zu erhalten, Dich und Dein Kind unterstützen und vor Mangel schützen zu können, wenn das Unglück Dich ferner verfolgen sollte, wird immer dringender! Ich brauche deshalb hier auch nicht noch einmal zu wiederholen, was ich Herrn Stemmler ausführlich auseinandergesetzt habe und was Dir ja ohnehin ebenfals bekannt ist. Das Herz blutet mir bei der Weigerung. – aber ich kann und darf nicht. Das einzige, was mich einigermaßen beruhigt, ist der Gedanke, daß Du in augenblicklicher Bedrängniß düsterer wie nöthig und wahr geschildert hast; denn der Contrast zwischen den beyden Briefen ist gar zu groß! Der Himmel gebe, daß ich mich hierin nicht täusche! Erfreue uns doch ja recht bald mit neuen Nachrichten.
In so trüber Stimmung, was kann ich Dir weiter schreiben, als daß wir sämtlich gesund sind. Ich kehre so eben von Carlsbad zurück, wo ich in der Hoffnung, nun wieder einige Jahre von jedem Anfall meines alten Übels verschont zu bleiben, 4 Wochen lang sehr regelmäßig getrunken und dadurch die im vorigen Jahr begonnene Kur vervollständigt habe. Nun kann ich mich der Aussicht erfreuen, einige Jahre die Ferienzeit zu Erholungsreisen verwenden zu können; ja, wills Gott, so gehen wir im nächsten Sommer noch einmal nach London, wohin ich schon für diesen Sommer von der Gesellschaft von Exeter Hall eingeladen war, an 3 Abenden meine sämtlichen Oratorien zu dirigieren. – Auch ist es möglich, daß wir im November noch eine Reise nach Wien machen, wohin ich zum Musikfest eingeladen bin, um mein Oratorium „Babylons Fall“ bey 2 Aufführungen mit einer Besetzung von 1100 Mitwirkenden zu dirigieren. Es hängt noch am Urlaub. Da indessen aus der Metternnich'schen Staatskanzley durch die Gesandschaft darum nachgesucht wird, so ist allenfalls auf günstigen Erfolg zu hoffen.3 – Doch ich muß schließen, um der Ida noch einigen Platz zu lassen. Der Himmel nehme Dich und die Deinigen in seinen Schutz. Von Marianne die herzlichsten Grüße. Wie immer Dein Dich liebender Vater L. Spohr

den 5. August.
Ida, statt diesen Brief, von ihr beendigt, zum Absenden zu schicken, kam so eben weinend selbst zu mir und ließ nicht nach mit Bitten, bis ich mich entschloß, Dir nochmals die geforderte Summe zu übersenden. Sie übernimmt sie, wie bereits die Hälfte der früher überschickten, auf ihr Erbteil und entzieht sie sich und ihren Kindern, um Dir zu helfen. Bedenke dieß und gib sie nur dann weg, wenn Du es im Einklang mit den Versicherungen Deines Briefes vermagst und Du Dich von der Wahrscheinlichkeit des Erfolges überzeugt hast. Ich bin weit enfernt zu glauben, daß Du uns über Eure Lage absichtlich täuschen willst, muß aber fürchten, daß Du sie selbst nicht kennst. Deshalb überleg es wohl, ehe Du das letzte hingibst. – Mit deinem nächsten Briefe, den wir in großer Unruhe entgegensehen, schicke mir den, von Dir und Deinem Manne unterzeichneten Schuldschein. Auch hoffen wir, daß Du uns dann Ausführliches und Wahres über Eure Lage und Aussichten melden wirst.
Lebe wohl meine gute Emilie und küße unser liebes Thalchen4 für mich. – Ida wird mit erster Gelegenheit schreiben. Ihr Knabe gedeihet vortrefflich. Die anderen Kinder sind ebenfals wohl. L.Sp.
Die Gebr. Pfeiffer senden die 1000 rt durch ein Bremer Haus. Solltest Du, einige Tage nach Empfang dieses Briefes das Geld noch nicht ausgezahlt erhalten haben, so erkundige Dich bey Herrn Consul Faber nach der Firma dieses Hauses. An ihn schreiben die Gebr. Pfeiffer zugleich.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Zahn, Emilie
Erwähnte Personen: Faber, Conrad Wilhelm
Spohr, Marianne
Stemmler, John A.
Wolff, Ida
Zahn, Johann Wilhelm
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Erwähnte Orte: Karlsbad
London
Wien
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846080400

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Zahn an Spohr.
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 24.09.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Zahn an Spohr, 19.10.1848.

[1] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[2] Ida Wolff.

[3] Der Kurprinz Friedrich Wilhelm verweigerte den Urlaub (vgl. „Wien“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 48 (1846), Sp. 647).

[4] Zahns Tochter und Spohrs Enkelin Nathalie, später verh. Wiegand.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (06.05.2020).