Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Wilhelm Stahl, Gottfried Herrmann (= Sammlung musikwissenschaftlicher Einzeldarstellungen 17), Leipzig 1939, S. 30 (teilweise)

Sr. Wohlgeboren
dem Herrn Hof-Capellmeister
Dr. Louis Spohr
in Cassel

d. Güte
d. H. Hässler.


Allwerther,
Hochgeschätzter Meister!

Vergebens hoffe ich jetzt in meiner neuen Stellung hier in Sondershausen den mir so angenehmen Wunsch u. Plan ausführen zu können, Ihnen wieder einmal meine Aufwartung zu machen, was ich aber hoffentlich im nächsten Herbst oder Winter zur Ausführung zu bringen werde bewerkstelligen können. Unsre musikalischen Freuden u. Leiden, so wie das für jetzt gänzliche Aufhören unsres Hoftheaters wird Ihnen Alles durch frühere Mittheilungen des H. Hässler1 u. Anderer hinlänglich bekannt seyn. Diesen Sommer haben wir allwöchentlich am Sonntage die Ihnen wahrscheinlich dem Namen nach bekannten Loh-Conzerte zu executiren, wo wir größtentheils Symphonien u. Ouverturen recht gut einstudirt zu Gehör bringen, u. uns beynahe jedesmal an mehreren trefflichen Werken von Ihnen ergötzen. Ich glaube, wenn wir einmal die große Freude haben könnten Ihnen etwas vorzuführen, Sie nicht ganz unzufrieden mit unseren Leistungen seyn würden. Wenn ich nur eine Verstärkung des Quartetts erreichen könnte; denn bey der jetzigen starken Besetzung der Blasinstrumente sind doch 6 erste, 5 zweite Violinen 2-3 Bratschen 2 Cello’s u. 2 Bässe zu wenig um einigermaßen ein ein gutes Verhältnis derselben herzustellen. Leider fehlt es sehr an Geld, so daß ich fürs erste keine Aussichten dazu habe. – Um meinen Wirkungskreis hier noch zu erweitern, beabsichtige ich, in nächster Zeit einen ständigen Gesangverein zu errichten, da sich hier, wie ich noch bey der am letztverwichenen Charfreytage veranstalteten Aufführung der 7 letzten Worte von Haydn ersah, gar nicht unbedeutende Kräfte auftreiben lassen u. sich der Wunsch dafür allgemein sehr lebhaft ausspricht. Dazu wünschte ich nun ein recht schönes u. eingängliches Oratorium für den Anfang zu haben, u. Ihrer allgemein u. mir besonders bekannten u. zu oft erwiesenen großen Güte u. Gefälligkeit vertrauend, wage ich Ihnen die ergebenste Bitte vorzulegen, und zu diesem Behufe Ihr ausgezeichnetes Orat. „die letzten Dinge“ zu leihen, u. zwar Partitur u. sämmtliche Gesang- u. Orchesterstimmen, womöglich auf ziemlich lange Zeit, um es recht schön einzustudiren u. bey passender Gelegenheit aufführen zu können. Um Ihnen so wenig Belästigung als möglich zu verursachen würde Überbringer dieser Zeilen H. Hässler es in Empfang nehmen, sorgfältig verpacken u. expediren. Jedenfalls werden Sie meine dreiste Bitte gütigst entschuldigen, u. bey Gewährung derselben meinen verbindlichsten Dank schon im Voraus genehmigen. – Schließlich kann ich nicht unterlassen, Ihnen, obgleich nicht erfreuliche Nachrichten über meinen alten guten Collegen Hermstedt zu ertheilen. Sein Zustand läßt nach meiner Ansicht nicht die geringste Hoffnung erwarten, u. bey seiner zunehmenden Schwäche u. Geschwulst von den unteren Körpertheilen nach oben nach das Ende nicht allzu lange mehr ausbleiben, wenn nicht ein halbes Wunder geschieht.2 Wäre es eine Möglichkeit, so würde für ihn nach meinem Bedünken, bey seiner immerwährenden alten Verehrung für Sie bestimmt eine der größten Erdenfreuden noch seyn, Sie noch einmal zu sehen u. zu sprechen. Ein Glück für ihn ist, daß, wie es scheint, er selbst seine wahrscheinliche Auflösung nicht so nahe glaubt. – Vor einigen Wochen verlor ich auch durch einen ganz plötzlichen Tod meine liebe Mutter. Friede Ihrer Asche! Ihnen u. Ihrer Frau Gemahlin mich ergebenst u. angelegentlichst empfehlend, verharre ich mit alter unwandelbarer Verehrung u. Liebe

Ew. Wohlgeboren
Ergebenster
Gottf. Herrmann

Sondershausen, den 30sten July
1846.

Autor(en): Herrmann, Gottfried
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Haessler, Carl
Hermstedt, Johann Simon
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte: Kassel
Sondershausen
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Sondershausen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846073040

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Herrmann an Spohr, 02.06.1844. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Herrmann an Spohr, 16.09.1848.

[1] Weiter unten bezeichnet Herrmann Carl Haessler als „Überbringer dieser Zeilen“.

[2] Bereits am 17.03.1846 berichtete Hermstedt an Spohr über seinen schlechten Gesundheitszustand.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.09.2021).