Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.2 <18460612>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.


Breslau d. 12. Juny 1846.
 
Hochgeehrtester Freund und Gönner!
 
Die Sängerin Frl. Haller ist von imponirender Gestalt, ihre Stimme ist gut und für getragenen Gesang geeignet, im colorirten Gesange hat sie biss jetzt wohl nicht viel geleistet, doch hat sie guten Willen und kann es noch zu etwas bringen; ihr Spiel ist gut, ohne hervorstechend zu sein, ob sie sich indeß zur ersten Sängerin Ihrer Bühne eignen dürfte, weiß ich nicht.1 Hier war sie es seit dem Abgange der Mad. Schlegel-Köster auch, vermochte aber als solche nicht das Publikum anzuziehn. Könnten Sie es nicht erst mit Gastrollen versuchen, ohne sich zu binden? Mitte Juli gedenke ich mit einem Freunde dem Tonkünstler Hr. Weigt nach Italien und zwar bis Neapel zu reisen, durch die Schweiz den Rückweg zu nehmen, und wenn unsere Gelder es irgend erlauben auch über Cassel zu kommen, wo wir wenn alles gut geht, in der letzten Hälfte August sein würden, es würde mich wenigstens sehr schmerzen, wenn es nicht anginge und ich Sie nicht sehn, und Ihre himmlische Geige nicht hören sollte. Komme ich aber hin, nun dann weiß ich, daß ich mir bestimmt Hoffnung auf ein Quartettchen etc. machen darf. Ernst war 4 Wochen bei uns und hat 4 sehr besuchte Konzerte gegeben, der Wollmarkt2, wo so viele Fremde hier sind, begünstigte sein Unternehmen; er hat aber auch sehr schön gespielt, auch Ihre Gesangsscene, wo er namentlich im Adagio Alles hinriß. Von einigen Virtuosendingen, die er des Publikums wegen machen muß, muß man absehen, er spielt aber auch sie für den Kenner sehr schön. Er will nach Carlsbad um einen Bekannten zu besuchen; hat er eine Geige mit, so ersuchen Sie ihn doch etwas zu spielen; namentlich seine Romanzen, die er sehr schön vorträgt2a. Er war so glücklich Sie in London zu hören und sprach mit großer Verehrung davon; er spielte auch hier in einer Soiré Ihr schönes e-moll Quartett 6/4. Ich habe ein neues Rondo für Piano und einige Romanzen und Notturnos komponirt.
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin etc. etc. hochachtungsvoll. Ich wünschte Alles vereinigen zu können, Carlsbad, Leipzig, Italien etc. Gedenken Sie meiner am quod fis3, ich wünsche Ihrer Kur die besten Erfolge.
 
Wie lmmer
Ihr ergebener Verehrer
Adolph Hesse.
 
Also auf frohes Wiedersehen.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Hesse, 07.06.1846. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hesse an Spohr, 30.01.1847.
 
[1] Zu Hermine Haller als Spohr-Interpretin vgl. „K.K. Hoftheater nächst dem Kärntnerthore. Vorgestern, den 12. Juli”, in: Allgemeine Theaterzeitung 40, S. 666.
 
[2] Vgl. C.S. Schweitzer, Reisehandbuch für die Sudeten. Ein Führer durch das Erzgebirge, das Schwednitzer-, Glatzer- und Mährisch-Schlesische Gebirge [...], Berlin 1846, S. 222.
 
[2a] [Ergänzung 17.01.2022:] „vorträgt“ über gestrichenem „spielt“ eingefügt.
 
[3] Lat.: „was du willst“.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (12.04.2016).