Autograf: Nationalbibliotek og Københavns Universitetsbibliotek [Nationalbibliothek und Universitätsbibliothek Kopenhagen] (DK-Kk), Sign. NKS 3392 4° nr. 354
Faksimile: J.P.E. Hartmann og hans kreds. En komponistfamilies breve, hrsg. v. Inger Sørensen, Bd. 1 (= Danish humanist texts and studies 17), Kopenhagen 1999, S. 385 (teilweise)
Druck: ebd., S. 384

Sr. Wohlgeb.
Herrn J.P.E. Hartmann
Ritter v.D.
in
Copenhagen


Cassel den 1sten Mai
1846.

Hochgeehrtester Herr,

Ihre schöne Sonate habe ich mit meiner Frau nun so eingeübt, daß ich glaube, sie bey unserer nächsten Musikparthie vortragen zu dürfen; sie hat durch ihren eigenthümlichen Styl und ihre originelle Harmonisierung uns bey jeder Wiederholung mehr und mehr angezogen, und wir haben sie sehr lieb gewonnen. Doch läugne ich Ihnen nicht, daß ich mich mit einigen Harmonie-Härten noch imer nicht habe befreunden können.1 Doch geschieht das vielleicht noch. - Auch die andern Sachen haben wir sehr liebgewonnen und danken Ihnen herzlichst für deren gefällige Mittheilung.
Mögten Sie doch Ihren Vorsatz mit Ihrer Frau Gemahlin Cassel zu besuchen, recht bald einmal in Ausführung bringen! Meine Frau, die auch wie die Ihrige ganz in und für Musik lebt, würde sich zu ihr sehr gut passen und wir würden so genußreiche Tage mit einander verleben können.
Was Sie mir über die dortige2 Aufführung von zweien meiner Werke schreiben3, hat mich sehr erfreuet und den Wunsch in mir erweckt, daß doch auch meine spätern Oratorien „des Heilands letzte Stunden“ und der „Fall Babylons“ einmal dort zur Aufführung gebracht werden mögten. Könnte ich nur selbst einmal hinüber reisen! Bey der Schwierigkeit, Urlaub zu erhalten, werde ich aber wohl darauf verzichten müssen. - In diesem Jahre muß ich meine Ferienzeit für eine Badekur in Carlsbad verwenden und habe deshalb eine Einladung nach London um meine sämtlichen Oratorien in 3 Abenden dort zu dirigiren, ablehnen müssen.
Leben Sie recht wohl. Mit der Bitte uns Ihrer Frau Gemahlin angelegentlichst zu empfehlen, mit vorzüglicher Hochachtung und Freundschaft

Ihr
ergebenster
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Hartmann an Spohr, 12.03.1846.

[1] Solche Härten belegt auch ein Rezensent mit Notenbeispiel (16., Rez. „Sonate für Piano und Violine, componirt von J.P.E. Hartmann (L. Spohr dedicirt). Op. 39“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 48 (1846), Sp. 630f., hier Sp. 631; vgl. Sonate für Piano und Violine componirt von J.P.E. Hartmann [...], Hamburg und Leipzig: Schuberth [1846], S. 5, Z. 1, T. 3f.).

[2] „dortige“ über der Zeile eingefügt.

[3] Die Weihe der Töne und Die letzten Dinge (vgl. Vorbrief).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.11.2017).