Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.2 <18460410>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Hochwohlgeboren
Herrn Dr. Louis Spohr, kurfürstl
Hofkapellmeister, Ritter etc
in Cassel
 
franco.1
 
 
Charfreitag d. 10. April 1846.
 
Hochgeehrter Freund und Gönner!
 
Ihrem Wunsche gemäß beantworte ich Ihre lieben Zeilen, die so unendliche Freude mir machten, sogleich. Was die Oper Loreley von unserem 2ten Theatermusikdirektor Heinze anbelangt, so bekundet sie recht viel Talent, ist aber, wie Hr. Heinze selbst sagt, sein erster Versuch der Art gewesen und hat auch hier nicht viel ausgerichtet. Sie wurde 4 oder 5 mal gegeben, 2 mal bei vollem, die anderen Male bei leerem Hause. Die Musik hat manchen glücklichen Zug, ist recht effektvoll instrumentiert, es fehlt ihr, meiner Ansicht nach aber Einheit im Style, auch klingt sie mir nicht gewählt genug. Das könnte nun aber vielleicht gerade ein Grund sein, warum sie dem großen Publikum gefiele. Wie ich höre ist am Textbuch geändert worden so wie auch an der Musik, ersteres macht2 mir Ihr Gefallen erklärlich, denn so wie die Oper hier zuerst gegeben wurde, fand man das Sujet sehr langweilig, nun haben wir aber auch mit wenigen Ausnahmen gegenwärtig ein3 sehr unbedeutendes Opernpersonal, so daß für das Werk wenig gethan werden konnte. Ich möchte daher dem Komponisten eine Freude nicht gern verderben, mich aber auch durch eine unbedingte4 Empfehlung der Oper bei Ihnen mit meinem Urtheile nicht in Mißkredit bringen, weshalb es wohl das Gerathenste wäre, Sie ließen sich von Hr. Heinze selbst die Partitur zur Ansicht schicken, um so mehr, als ich über die geänderten Stellen kein Urtheil haben kann. Am 2ten gab Mosevius hier die Bachsche5 Passionsmusik mit seiner Akademie und großem Orchester sehr gelungen, und gestern hörten wir in der Aula mit 400 Personen Haydn’s Schöpfung, wobei die Königl. Sächsische Hofopernsängerin Emma Babnigg die Sopranparthie sang. Die sollten Sie engagiren, das ist ein Grad von Ausbildung, wie ich ihn schon lange nicht hörte. Reine Intonation, Deutlichkeit als ob eine Klarinette die Passagen vortrüge und ein Triller im ganzen und halben Ton goldrein ohne jedes Tremuliren. Sie gab früher schon hier 2 Concerte, in denen sie deutsche und italienische Sachen mit gleicher Bravour, gleichem Geschmack und derselben Reinheit vortrug. Wie schön sang sie die Arie der Königin der Nacht, wie klar war das hohe F. In einem ihrer sehr interessant komponirten Lieder aus Des-dur machte sie eine Verzierung, den des-dur Dreiklang vom hohen des an bis herunter ganz schnell und merkwürdig rein. Man wollte sie hier engagiren, fand aber die verlangte Gage von 2500 Thalern zu hoch, während man der kränklichen Mad. Köster (geb. Schlegel) 4000 gab, die selten sang. Leider haben wir aber einen kranken eigensinnigen Theaterdirector den Baron v.6 Vaerst, welcher lieber die Oper zum Skandale läßt und leere Häuser hat, als von seinem Eigensinn einen Finger breit weicht; er meint, das Publikum solle erst seine Theilnahme am Theater (der schlechten Oper) mehr bethätigen, ehe er eine so theure Sängerin engagirt; also das Publikum soll anfangen! Sie sollten Frau Babnigg auf ein paar Gastrollen engagiren, fragen Sie doch Reißiger, von dem sie mir einen Brief brachte, um ihre Fähigkeit.
Wie gerne möchte ich heute Ihr Prachtoratorium: die letzten Dinge und das Requiem hören; ebenso möchte ich gern nach Carlsbad kommen. Wird aus Italien nichts (wo ich aus dem Rückwege Sie doch in Cassel besuchen will) so komme ich nach Carlsbad.
Schreiben Sie mir doch recht bald wieder!
Ihre Frau Gemahlin, deren und Ihre Familie, Fr. v.Malsburg etc. etc. die ergebensten Grüße.
 
Ich bin
Ihr dankbarer Verehrer
Adolph Hesse
 
Seidelmann, der 1ste Theaterkapellmeister hat eine Oper hier aufgeführt, das Fest zu Kenilworth, wozu die Musik recht interessant ist, vielleicht könnten Sie zu anderer Zeit einmal dieselbe geben. Auf Ihre Doppelsinfonie freue ich mich sehr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Hesse, 03.04.1846. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hesse, 07.06.1846.
 
[1] [Ergänzung 17.01.2022:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRESLAU / 10 / 4 / 9-10“, auf der Rückseite des gefalteten Briefumschlags befindet sich der Stempel „APR[1846}“.
 
[2] [Ergänzung 17.01.2022:] „macht“ über gestrichenen vier Buchstaben eingefügt.
 
[3] [Ergänzung 17.01.2022:] „ein“ über der Zeile eingefügt.
 
[4] [Ergänzung 17.01.2022:] „unbedingte“ über der Zeile eingefügt.
 
[5] [Ergänzung 17.01.2022:] Hier gestrichen: „Passio“.
 
[6] [Ergänzung 17.01.2022:] Hier gestrichen: „Würst“.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.10.2015).