Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:14

Lieber Herr Kapellmeister,

Der fünfte April steht mit so unauslöschlichen Zügen in meiner Seele aufgezeichnet, daß ich ihn nicht vergessen kann: so müßten Sie denn schon ertragen, daß ich in den frohen Jubel Ihres Hauses über die Wiederkehr des schönen Tages mich unberufen einmenge u wo ich nicht persönlich unter den Gratulanten erscheinen kann, wenigstens schriftlich Ihnen den herzlichsten Glückwunsch aussprechen. Ich hatte allerdings ein Paar Tage die Absicht, selbst mich zu dem Tage einzufinden: aber Vernunftgründe riethen mir mir ab, in Cassel augenblicklich zu erscheinen; darum verspare ich mir auf günstigere Zeit die große Freude, Sie u die lieben Ihrigen, an denen ich mit dankbarer Liebe hänge, wiederzusehen. Dann aber melde ich mich vorher an, auf daß die große Lücke in der Kenntnis Ihres neuern Schaffens desto eher ausgefüllt werden könne. Ist mir doch noch nicht einmal gelungen, Ihre Kreuzfahrer kennen zu lernen! Sehen Sie, je größer die Lücke in meinen musikalischen Kenntnissen wird, desto reizender schwebt das Bild jener schönen Zeit vor meinem Gedächtnisse, wo Ihre Freundschaft meinen musikal. Horizont so sehr erweiterte, wo ich zu ahnen begann, wie die unbestimmte Gefühlsschwärmerei sich vergeistigen müßte, um die Schönheit in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen. So geht’s aber in meinem Leben: Bedürfnisse sind überall mir gesteigert, ohne daß ich sie befriedigen kann. Denn jetzt ist meine Ehrenmitgliedschaft der Cäcilia in Frankf.1 auch nur ein leerer Name, da die Theilnahme durch meinen Beruf fast unmöglich ist.
Da bin ich schon mitten in der Beschreibung meines Lebens: es ist eigen, wie der Mensch das bischen Eigenliebe in derartigen Dingen nie geläugnet. Doch laß ich mich dießmal gerne auf diesen Pfad führen, denn meine schriftlichen Glückwünsche nehmen sich überall nicht besonders aus u anderntheils denke ich mir, indem ich dabei freilich mein Gefühl vor Augen habe, Sie hören gern, wenn ich Ihnen von meinem Thun und Treiben Etwas mittheile.
Bis jetzt habe ich alle Ursache, mit meinem Übertritt in Nass. Dienste zufrieden zu seyn, so schwer mir auch der Himmel durch die fünfmonatliche Krankheit meiner Frau denselben gemacht hat. Jetzt, wo, seit Weynachten, mein Haus wieder vollständig eingerichtet ist u meine Frau u Kinder der besten Gesundheit theilhaftig sind, bin ich so zufrieden, wie noch nicht in meinem Leben. Ich habe einen sehr angenehmen, wenn auch mühvollen Wirkungskreis, erfreue mich des Wohlwollens meiner Vorgesetzten u insbesondere unseres Herzogs, den ich als einen für das Gute empfänglichen, von außerordentlichem Wohlwollen beseelten Fürsten habe kennen lernen u wegen vielfacher mir speziell erwiesenen Freundlichkeiten dankbar verehren muß, erfreue mich der Achtung u Liebe meiner Schüler u meiner Freunde, welche die alten Gesinnungen über Kunst u Religion mit mir theilen: kurz, da außerdem meine äußere Lage eine sorgenfreie ist, bin ich so recht in mir froh u zufrieden, u wünsche nichts mehr, als daß es immer so bleiben möge. Ein Hebel dazu wird mir stets die Rückerinnerung an Kurhessen sein u ein Blick in die dortigen Zustände. In allen Schritten der Nass. Regierung entdecke ich bis jetzt Wohlwollen, das ich, so sehr ich auch gesucht, in Kurhess. dortigen Orts nicht gefunden. Welch ein Loos würde mir namentlich geblüht haben, nachdem meine Erziehungsresultate solch ein Ende genommen? Denn dem Lehrer wird ja gar zu leicht Alles aufgebürdet, auch selbst hier, wo er (ich meine an der Münchhauseniade) so unschuldig wie etwas ist. Ich denke, der Himmel hat’s gut mit mir vorgehabt, daß ich grade zur rechten Zeit den Ruf erhalten. Hier hatte ich zu Allem, was von Oben kam, jedes Zutrauen verloren: dort baue ich dem Demselben wieder einen Altar, u habe dazu allen Grund. Achten Sie in den Zeitungen etwas auf die Verhandlungen unserer jetzigen Landstände, u Sie werden sehen, daß auch in Nassau nach zehnjährig. Unterbrechung wieder ein reges Treiben beginnt. Trotz dem eigenthümlichen Wahlgesetze, wonach nur Höchstbesitzende der Gutsbesitzer u Gewerbe nach absoluter Majorität gewählt können, u, da die letztere schwer erreicht wird ohne, früher unerlaubte, vorherige Besprechung, die Regierung das Recht hat so lange einen vorzuschlagen, bis auf denselben die absolute Majorität fällt, ist dießmal bis auf zwei die ganze Kammer liberal ausgefallen, u Allen wohnt die Absicht bei, der Offenheit und dem Wohlwollen der Regierung (namentlich durch den Geh. Rath Vollpracht geleitet, mit dem ich allsonntäglich ein Kränzchen habe) Vertrauen entgegenzusetzen und Freimüthigkeit. Dazu gebe der Himmel seinen Segen! Die katholische Camarilla, die unsern Herzog bisher umgeben, hat ohnehin durch die Polnischen Ereignisse einen kleinen Stoß erhalten.
Doch ich schreibe da so hin, als wenn Sie ein Politiker wären! Nun! neben dem Künstler, den ich in Ihnen tief verehre, habe ich Ihrem Mannescharacter stets meine Huldigung darbringen können. Darum entschuldige ich mich nicht.
Meine Grüße durch den armen Lüder (Stemann(???) pflegte zu sagen, es ist eine arge Arroganz, daß die Familie die Punkte über dem u trägt) haben Sie sicherlich seiner Zeit erhalten. Könnte ich dergleichen nur stets selbst überbringen! Sollten Sie nicht wieder zu solch einem Musikfeste reisen, wie das Bonner war, so denken Sie meiner u schlagen Sie mich zur Soloparthie vor: Ich glaube, sagen zu dürfen, daß meine Stimme sich noch immer hören lassen kann, ja! an [???] sogar und Höhe noch zunimmt. Meine Dienstverhältnisse sind jetzt der Art, daß ich leicht außer den Ferien einen vierzehn Tage Urlaub erhalten kann. Das sollte mal eine schöne Zeit werden!
Vorgestern hörte ich hier (wo ich dieß mal meine Ferien verlebe) in einem Liebhaberconzerte Ihre „Weihe der Töne“. Nun! man that, was man konnte, man hatte auch im zweiten Satze wohlweißlich die bösen 21 Takte gestrichen: indeß freue ich mich doch, daß Sie nicht dabei waren. Unser treffliches Orchester in Wiesbaden hat sie schöner executirt! – In demselben Conzerte spielte ein 15 jähriger, hiesiger Knabe ein Violinkonzert mit überraschender Bravour: es ist ein armer Junge, Hermann mit Namen, dem es seine Armuth unmöglich macht, eine Bahn zu betreten, zu welcher er das unverkennbarste Talent hat. Bis jetzt hatte er nur die Milanollos hier gehört u copirte diese auf eine merkwürdige Weise. Ich bin eben daran, für den Jungen ein Conzert zu veranstalten, um ihm einige Mittel zu verschaffen. Wenn er nur soviel hätte, daß Sie ihn einmal in Cassel hören könnten, um ein Urtheil zu geben.
Ich schließe mit den herzlichsten Grüßen an Ihre liebe Frau u Tochter, sowie an die Familie Ihrer innig verehrten Schwiegereltern. Auch meine Frau wünscht Ihnen zu dem Geburtstage Glück. Leben Sie wohl u froh, wie alle Ihre Verehrer es wünschen, zu denen ich mich rechnen darf

Ihr
Firnhaber

Hanau am 3ten April 1846.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hermann (Schüler von Spohr)
Lueder, Christian Friedrich
Milanollo, Maria
Milanollo, Teresa
Stemann(?)
Vollpracht, Ferdinand
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Weihe der Töne
Erwähnte Orte: Hanau
Wiesbaden
Erwähnte Institutionen: Cäcilienverein <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846040348

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 10.08.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 04.04.1847.

[1] „in Frankf.“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.12.2020).