Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hersfeld d 3ten April 1846.

Sehr geehrter Herr Hofkapellmeister!

Zuvörderst meine ergebenste Bitte um Verzeihung, wenn ich es wage, mich mit einem eben so herzlichen als dringenden Anligen an Sie zu wenden!
Ich befinde mich – um mich kurz zu fassen – in diesem Augenblick mit meiner Familie in großer Noth, denn ich bin ohne Anstellung u Existenz. Auf der Reise mit meiner Familie begriffen, um bei irgend einem Theater mir ein Engagement als Musikdirektor zu suchen, erkrankte ich zuerst in Erfurt u zum zweitenmale hier in Hersfeld auf der Durchreise. Durch meinen mich behandelnden Arzt, den H. Dr. Ulrich aus Marburg, so wie auch von andern Musikliebhabern erfuhr ich, daß die1 Musikdirektorstelle an der Marburger Universität zur Zeit noch unbesetzt ist, und man veranlaßte mich, mich, unter Einsendung meiner Zeugnisse, um dieselbe zu bewerben, wenn auch nur vorläufig unter der Hand. So eben nun erfahre ich aus einem Schreiben des Herrn Rektor u Prof. Hencke zu Marburg an den H. Dr. Ulrich hieselbst, daß die Universität sich sehr für mich interessire, und den Wusch hegte, mich berufen zu dürfen. Zu dem Ende hätte selbige die Angelegenheit (nebst meinen Zeugnissen) schleunigst dem H. Minister Koch zu Cassel vorgelegt. Zugleich ertheilt man mir den Rath, mich an Sie, geehrter Herr Hof-Capellmeister mit der Bitte zu wenden, daß Sie sich geneigtest beim H. Minister für mich interessiren möchten, in welchem Falle es alsdann gar keinen Zweifel unterliegen würde, daß meine Berufung ohne Weiteres genehmigt werden würde. Die Atteste, welche dem H. Minister von mir vorliegen, sind von Mendelssohn, L. Rellstab u Hofrath J.P. Schmidt zu Berlin (gedruckte künstlerische Referate über mich aus der Vossischen u aus der Spenerschen Berliner Zeitung)2, so wie hauptsächlich das Attest meiner freüheren Behörde in Holland, der Königl. Maatschappy zur Beförderung der Tonkunst in den Niederlanden, mit welcher Ew. Wohlgeboren ja auch in näherer Verbindung stehen.
Damit Ew. Wohlgeboren mich aus eigener Ueberzeugung einigermaßen näher kennen lernen können, bin ich so frei, diesem Schreiben einige meiner Compositionen beuzufügen, die ich zufällig mit auf die Reise genommen. Meine besseren u größeren Compositionen liegen noch im Koffer in Berlin, indessen werden auch diese Ihnen wenigsten seinen ungefähren Maaßstab geben können. Auch meine Biographie aus dem Schillingschen Universal-Lexikon, verfaßt von A. Gathy3 in Paris auf einer Durchreise durch Holland (er kannte mich schon vol Leipzig u Lübeck her) könnte Ihnen vielleicht Einiges über mein bisheriges Wirken mittheilen. Sie erfolgt allenfals anbei.
Sollten Sie mich, geehrter Herr Kapellmeister, dessen nicht ganz unwerth finden, daß Sie sich für mich interessiren, so würden Sie mir u meiner Familie bei meiner gegenwärtigen-peinlichen Lage eine Wohlthat dadurch erweisen, die mich zu immerwährendem Danke gegen Sie verpflichten würde.
Mit der größten Hochachtung u Verehrung

Ihr
ganz ergebener
GKupsch Musikdirektor

P.S.
Herr Rector Hencke ließ mir sagen, daß von meiner Seite größte Eile nöthig wärem in einer halben Stunde geht die Post ab, der Brief an Sie muß noch heut fort, deshalb entschuldigen Sie wihl gütigst die große Flüchtigkeit meines Schreibens.
Darf ich wohl zugleich um möglichst baldige Rücksendung der beigelegten Compositionen ersuchen?

Autor(en): Kupsch, Gustav
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Gathy, August
Henke, Ernst Ludwig Theodor
Koch, Hermann
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Rellstab, Ludwig
Schmidt, Johann Philipp Samuel
Ulrich (Arzt in Hersfeld)
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst <Rotterdam>
Universität <Marburg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846040345

Spohr



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Hier gestrichen: „Universitäts“.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] A[ugust] G[athy], „Kupsch, Carl Gustav“, in: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften, oder Universal-Lexicon der Tonkunst, hrsg. v. Gustav Schilling, Supplement, Stuttgart 1842, S. 53f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.07.2024).