Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Dordrecht den 31ten März 1846.
Hochverehrtester Herr Kapellmeister!
Empfangen Sie zu Ihrem Geburtstage meine allerherzlichsten Glückwünsche! Möge dieser Tag den ich wie einen Festtag feiere u an dem ich mich ganz besonders Ihrer Güte lebendig erinnere, recht oft wiederholen und mögen Sie in gewohnter Kraft und im Besitz vollkommenen Wohlseins fortwirken u schaffen; daß sind meine Wünsche die ich dem Himmel zur Erhörung sende!
Seit Beginn des neuen Jahres bin ich hier in Dodrecht und habe durch Ihr gutes Zeugniß empfohlen, leicht reüssiren können. Wie sehr danke ich Ihnen für Ihre gute Meinung besonders aber meinen Character und wie sehr werde ich mir Mühe geben, derselben werth zu sein!
In kurzer Zeit habe ich eine so große Veränderung im hiesigen Orchester hervorgebracht, die erfreuliche Resultate hatte. Wohl glaube ich Sie recht verstanden zu haben, wie Sie mir früher sagten: man müsse sich Achtung erzwingen. Durch mein Betragen, durch festen Willen und Beharrlichkeit ists mir möglich geworden Einfluß auf mein Orchester auszuüben. Man sieht und fühlt recht, daß ich mich nützlich zu machen wünsche; man folgt mir unbedingt in meinen Anordnungen und so war es mir möglich, ein seit vielen Jahren vernachlässigtes Orchester in kurzer Zeit so zu organisiren, daß die Ausführung der mit Vorsicht gewählten Musikstücke erträglich geworden ist. Herr Lübeck aus dem Haag u Hr. Tours aus Rotterdam beide Musiker von großem Ansehen hier in Holland, haben mir nach Anhörung einiger Sachen ihre Verwunderung über den Unterschied jetziger u früherer Musikaufführungen zu erkennen gegeben.
Ich würde es mir längst erlaubt haben, hochverehrtester Herr Kapellmeister Ihnen Nachricht gegeben u meinen Dank abgestattet zu haben, wollte ich nicht zugleich auch etwas über die Aufnahme meines Solospiels berichten. Gestern habe ich in einem großen Concerte 2 mal mit vielem Beifall gespielt. Ich besorgte dass ich im Spiel vielleicht der guten Meinung, die man sonst von mir hatte schaden würde, da man fast jährlich eine Anzahl guter Virtuosen zu hören Gelegenheit hat; allein es ist recht gut abgelaufen, obgleich ich weniger mit mir zufrieden war, als andere. Ich habe eine Fantasie von mir gespielt u eine moderne Composition. Gar gern hätte ich das 12te1 oder 8te2 Concert gespielt; allein ich hatte niemanden zum dirigieren u denn ist das Publicum durch die reisenden Virtuosen so sehr an moderne Musik gewöhnt, daß ich es vorgezogen habe, damit später zu kommen, wenn ich mich mehr auf das Orchester verlassen kann u wenn ich dem Geschmack eine bessere Richtung gegeben habe.
Ihre 3te Symphonie habe ich zu studiren begonnen. Man liebt Ihre Musik in Holland gar sehr. In Rotterdam ist die Weihe der Töne 4 mal in diesem Winter aufgeführt worden3; eben so mehrere male in Utrecht.4 Es thut mir leid daß ich keine von diesen Aufführungen gehört habe, sonst würde ich Ihnen gern über die Auffassung dieser Symphonie die mir so lieb, Nachricht geben. Sollte es mir gelingen eine leidliche Aufführung Ihrer leichtern Symphonien zu Stande zu bringen, mit welcher Freude würde ich Ihnen schreiben. Jedoch will ich nicht sehr damit drängen u lieber erst durch andre Musik das Orchester so vorbereiten, daß es emfpänglicher für die Ihrige ist, denn schon mehremale habe ich die Bemerkung gemacht daß Personen die Ihre Musik leidenschaftlich liebten und wünschen daß auch andre gleichen Genuß hätte, durch ihre Ungeduld u Unvorsichtigkeit oft mehr geschadet, als genützt zu haben. Weiß ich doch auch aus Erfahrung daß selbst in Deutschland geübte Orchester mancher Orte Ihre Werke besser aufführen als an andern, selbst wenn die Kräfte dieselben sind.
Im gestrigen Concerte sang auch eine junge Sängerin aus dem Haag „Rose wie bist du“5 mit sehr schöner Stimme und vielem Ausdruck. obgleich sie weder die Worte, noch Deutsch verstand, so hatte sie wohl die Musik verstanden.
In einer holländischen Zeitung fand ich einen Artikel aus Aachen, wo ein Concert von 2000 Sängern u Instrumentalisten unter Ihrer Direction angekündigt wurde.6 Schon freute ich mich darauf, Sie sehen u unter Ihrer Direction spielen zu können, als eine spätere Andere das Concert auf Pfingsten u unter Mendelssohns Leitung ankündigte.7
Hier in Dortrecht werde ich wieder nicht müßig sein, bereits habe ich die Anfänge von einer Art Conservatorium gemacht, ferner bin ich [???] daß man auch die Repetitionen, die gewöhnlich nach dem Winterconcerte einschlafen, fortdauern. Noch hat man mich zum Director von Sommerconcerten gemacht u man giebt sich alle erdenkliche Mühe mir den Aufenthalt angenehm, u den Eutnschied der Schweiz so weniger sichtbar als möglich zu machen; allein ich glaube daß dennoch sie sehr lange Zeit meines Bleibens nicht hier sein wird. Der Wirkungskreis ist doch ein wenig zu beschränkt für meine Kräfte. Es ist dieß keine Reue(???), noch weniger Eigendünkel. Es ist als ob eine innere Stimme mich von hier wieder fort treibt. Deshalb will ich nichts versäumen mich ganz mit den Pflichten eines Musikdirectors vertraut zu machen und ich habe hier Gelegenheit mich an Wachsamkeit zu gewöhnen. Denn schwieriger möchte es sein ein schlechtes Orchester in einigen Aufschwung zu bringen, als ein gutes zu führen. Halten Sie nicht für Undank einen Wunsch der für mich, der die Musik so leidenschaftlich liebt, so natürlich ist. Überall wo ich auch bin, suche ich mich nützlich zu machen. Ists nicht verzeihlich wenn ich mich dahin wünsche, wo ichs am meisten kann? Abgesehen von all dem Vorurtheilen die Holländer gegen Deutsche hegen u die einem freidenkenden Mann(???) oft drückend sind. Es fehlt mir die Nahrung, die musikalische nämlich u die Mittheilung(?), habe ich die, so fühle ich mich überall wohl.
Entschuldigen Sie hochverehrtester Herr Kapellmeister den Ausbruch dieser Gedanken, die vielleicht selbst nicht klar oder nur vorüber gehende Emfpindungen sind u sehen Sie fort gütig gegen mich zu sein.
Noch immer ist mir nicht geglückt, etwas hervorzubringen, daß ich werth genug hielte Ihnen zu senden u zu dediziren. In letzter Zeit habe ich 3 Sonaten für Violine u Pianoforte geschrieben, jedoch können Sie wohl schließen was herauskommen kann, wenn man sich so allein überlassen ist wie ich mir. Vielleicht gelingt mir es doch einmal und ich würde eine himmlische Freude haben, fänden Sie es nicht ganz unwerth. Ich bitte nun meine gehorsamste Empfehlung an Frau Kapellmeister. Zugleich bitte ich um Ihre Geduld mit meinem Geschluder(???),8 und Ihre fernere Güte und Nachsicht mit mir.
Leben Sie herzlich wohl Herr Kapellmeister u empfangen Sie die Versicherung meiner unaussprechlichen Liebe u Verehrung
Ferdin. Böhme
Autor(en): | Böhme, Ferdinand |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Lübeck, Johann Heinrich Mendelssohn Bartholdy, Felix Tours, Bartholomeus |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 79 Spohr, Louis : Konzert in Form einer Gesangszene, Vl Orch, op. 47 Spohr, Louis : Sinfonien, op. 78 Spohr, Louis : Die Weihe der Töne Spohr, Louis : Zemire und Azor |
Erwähnte Orte: | Aachen Dordrecht Rotterdam Utrecht |
Erwähnte Institutionen: | Euterpe <Dordrecht> Niederrheinische Musikfeste <verschiedene Orte> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846033140 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 21.11.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 10.02.1847.
[1] Op. 79.
[2] „In Form einer Gesangsszene“ op. 47.
[3] Vgl. „Vijfde Concert, Donderdag den 5 Februarij 1846“, in: Rotterdamsche courant 03.02.1846. S. [3].
[4] Vgl. „3e. Stads-Concert, Zaturdag den 14. Februarij 1846“, in: Utrechtsche provinciale en stads-courant 11.02.1846, S. [3].
[5] Aus Zemire und Azor.
[6] „[Aken, 23 Febr.]“, in: Algemeen Handelsblad 04.03.1846, S. [1].
[7] Noch nicht ermittelt.
[8] Hier gestrichen: „und“.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.10.2020).