Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,26

Professor Taylor
Gresham College
London.

frei
Rotterdam.


Cassel den 27ten März
1846.

Hochgeehrter Freund,

Die freundliche Einladung der Gesellschaft1 für Oratorien-Musik in Exeter Hall würde ich mit Freuden annehmen, müßte ich nicht dieses Jahr durchaus nach Carlsbad, mehr um Krankheitsanfällen vorzubeugen, als weil ich mich krank fühlte. Doch läßt sich diese Badereise nicht verschieben, weil ich im vorigen Jahre, wo ich nur 14 Tage dort war, gewissermaßen nur eine Vorkur gemacht habe.2 - Will die Gesellschaft aber im nächsten Jahr in der Zeit meiner Ferien3 Aufführungen meiner Oratorien veranstalten und mir die Direction übertragen, so werde ich sehr gern eine Reise nach London nochmals unternehmen. Vieleicht habe ich bis dahin auch wieder etwas Neues im Oratorien-Styl geschrieben, was bey dlieser Gelegenheit dann zum ersten Mal gegeben werden kann. Haben Sie die Güte, dieß dem Comité der Gesellschaft gefälligst mitzutheilen.
Daß wir in diesem Sommner nicht darauf rechnen dürfen, Sie bey uns zu sehen, betrübt uns sehr. Doch begreifen wir und bescheiden uns, daß ein Besuch bey einem Bruder4, den Sie so lange nicht gesehen haben und dessen Kinder Sie noch gar nicht kennen, den Vorrang haben muß. Wir rechnen nun aber um so zuversichtlicher darauf, Sie nächsten Sommer hier zu sehen und sollten wir selbst nach London kommen, so könnten wir dann die Rückreise vieleicht in Ihrer Gesellschaft machen.
Nun noch eine Bitte: Die Tochter5 meines besten und ältesten Freundes, des Herrn Speyer in Frankfurt, eine ausgezeichnete Künstlerin wird in einigen Wochen nach London kommen, in der Absicht sich dort zu fixiren. Sie ist zwar schon mit Empfehlungen an Sie (ich glaube von Mendelssohn6) versehen7; ich bitte aber noch in's besondere, sich ihrer freundlich anzunehmen und sie in musikalische Häuser einzuführen, z.B. bey Herrn Alsager und anderen. Fräulein Speyer ist eine ausgezeichnete Virtuosin auf dem Pianoforte und als Schülerin von Hauptmann eine durchgebildete Künstlerin, die bereits glückliche Versuche in der Kirchenkomposition gemacht hat, dabey ein bescheidenes und gebildetes Mädchen. Sie wird Ihrer Empfehlung in Jeder Beziehung Ehre machen.
Ich bin jetzt sehr mit Arbeit überladen, da wir während der Messe jeden Abend Theatervorstellungen haben und ich zu gleicher Zeit die Charfreitags-Aufführung8 in der Kirche vorbereiten und dazu meine „letzten Dinge“ und das Mozart'sche Requiem einüben muß. Ich hoffe aber, beydes wird recht gut gehen und die Aufführung eine recht würdige werden.
An die lieben Ihrigen die herzlichsten Grüße. Da Sie uns von dem Befinden Ihrer Frau Gemahlin nichts schreiben, so schließen wir daraus, daß es wenigstens damit nicht schlimmer geworden ist. Versichern Sie sie unserer innigsten.Theilnahme.
Mit wahrer Freundschaft stets ganz der Ihrige Louis Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Taylor an Spohr, 15.03.1846. Taylor beantwortete diesen Brief am 27.04.1846.

[1] Sacred Harmonic Society.

[2] Nachdem Spohr am 26.06.1845 in Oldenburg schwer erkrankte, brach er seinen Aufenthalt dort ab, um sich in Karlsbad zu erholen (vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 26.06.1845; Spohr an Adolph Hesse, 07.07.1845). Diesen Aufenthalt wiederum kürzte er ab, um in Berlin die dortige Erstaufführung seiner Oper Die Kreuzfahrer zu dirigieren (vgl. Spohr an Hesse, 11.07.1845).

[3] Hier gestrichen: „meine“(?).

[4] Philip Taylor.

[5] Hier gestrichen: „eines“.

[6] Vgl. Wilhelm Speyer an Spohr, 16.03.1846.

[7] Derzeit ist nur ein Empfehlungsbrief Felix Mendelssohn Bartholdys an Julius Benedict, 18.03.1846 nachgewiesen (vgl. Felix Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 11, hrsg. v. Susanne Tomkovič, Christoph Koop und Janina Müller unter Mitarb. v. und Uta Wald, Kassel u.a. 2016, S. 236 und 619). Falls es auch ein Schreiben an Taylor gab, dürfte es zum gleichen Datum entstanden sein.

[8] Gemeinsame Aufführung der Kasseler Gesangvereine mit der Hofkapelle.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (31.01.2019).