Autograf: nicht ermittelt
Druck: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 304f. (teilweise)

Ew. Exc. Zuschrift vom 15.1 d. M. hat mich in das größte Erstaunen versetzt. Nie hätte ich geglaubt, nach einer langen, und ich glaube hinzusetzen zu können, ruhmvollen, Künstlerlaufbahn die Kränkung erleben zu müssen, daß mir die Partitur eines meiner Werke, das nicht als Erstlingsversuch eines Anfängers zur Prüfung eingesandt, sondern nach vorhergegangener Anfrage bestellt worden war2, auf solche Weise zurückgesandt werden würde. Was Sie als Erklärung oder Entschuldigung eines solch auffallenden Verfahrens anzuführen belieben, kann ich unmöglich gelten lassen, denn nicht meine Schuld war es, daß die Oper zu der verabredeten Zeit nicht gegeben wurde, und zeitig und oft genug hatte ich darauf aufmerksam gemacht, daß ich außer meiner Ferienzeit keinen Urlaub erhalten würde. Wie die Oper nun, da sie in Dresden von Niemand gekannt ist, den Reiz der Neuheit verloren haben soll, kann ich eben so wenig begreifen, als daß der Inhalt, der Ihnen breits bekannt war, wie die Oper bestellt wurde, nun auf einmal Anstoß geben soll, während er hier und in Berlin in der jetzigen Gestalt und früher als Schauspiel durch ganz Deutschland auch nicht den mindesten erregt hat. Haben Ew. Exc. vielleicht die Besorgniß, die Oper werde die darauf verwandte Zeit und die Kosten nicht lohnen, so hätten die vielen, zahlreich besuchten Wiederholungen derselben, welche hier, in Berlin, Braunschweig etc. bereits stattgefunden haben, wohl darüber beruhigen können. Auch kann ich nicht glauben, daß ein Theater, welches gehaltlose Anfänger- und Dillettanten-Arbeiten, wie z.B. *…. und *….3, nicht verschmähet, die Arbeit eines alten erfahrenen Componisten deshalb zurückweisen würde. Es bleibt mir daher die Kränkung, die mir widerfahren ist, völlig unerklärlich und ich muß mich mit dem Gedanken trösten, daß es die einzige der Art in meinem langen Künstlerleben war, und mich freuen, nicht unter einer Intendanz zu stehen, die das Ehrgefühl der Künstler so wenig zu schonen versteht. [...]

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Lüttichau, August von
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Donizetti, Gaetano : La favorite
Flotow, Friedrich von : Alessandro Stradella
Erwähnte Orte: Berlin
Braunschweig
Dresden
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Braunschweig>
Hoftheater <Dresden>
Hoftheater <Kassel>
Königliche Schauspiele <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846032315

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Lüttichau an Spohr, 05.03.1846.
Das Briefdatum 23.03.1846 ergibt sich aus dem Antwortbrief, den Karl Gottfried Winkler in Lüttichaus Auftrag am 12.04.1846 verfasste.
Der Druck erfolgte nach einer „zufällig in Abschrift vorhandenen Antwort Spohrs“.

[1] Recte: „5.“

[2] Vgl. Lüttichau an Spohr, 24.01.1845; Richard Wagner an Spohr, 04.02.1845.

[3] Möglicherweise La favorite von Gaetano Donizetti und Stradella von Friedrich von Flotow, deretwegen die Inszenierung von Die Kreuzfahrer im Sommer 1845 nicht vorgezogen werden konnte (vgl. Lüttichau an Spohr, 03.06.1845).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.08.2017).