Autograf: nicht ermittelt
Entwurf: Mitteldeutscher Sängerbund (Sitz Kassel) als Depositum im Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. MSB Briefe 2
Inhaltsangabe: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 305

Hochgeehrter Herr College,

Mit einem höchst unangenehmen Gefühl setze ich mich dieses Mal nieder, um Ihnen zu schreiben, denn es gibt Ihnen eine Nachricht zu geben, die mir1 gewiß noch unangenehmer ist wie Ihnen selbst. Um das Folgende zu erklären, muß ich Ihnen zuerst mittheilen, daß mir, dem durch die artistische Leitung unserer Oper übertragen ist, seit der Zeit daß der Prinz2 sich selbst3 zu unserm Theaterintendaten aufgeworfen hat, die Wahl der neu zu gebenden Opern nicht mehr ausschließlich zusteht, sondern, daß nach getroffener Wahl erst um seine Genehmigung angefragt werden muß. Nun habe ich schon oft den Verdruß erlebt4, daß von mir vorgeschlagene Oper von Lindpaintner, Marschner, Alois Schmitt und andern zurückgewiesen, dafür die aller gehaltlosesten troz5 meiner Protestation6 angeschafft wurden, so daß unser Repertoir in Bezug auf neue Oper jetzt7 das allererbärmlichste ist.
Um so erfreuter war ich, daß der8 Vorschlag Ihren „Tannhäuser” zur Geburtstagsoper zu erwählen beym G.D.9 Feige keinen Widerspruch fand, was bey Opern die einer reichen Ausstattung bedürfen, wohl10 der Fall ist; [Wie]11 ich nun Ihnen12 nach Ankunft der Partitur aus dieser ersah, daß wir die Oper recht gut würden besetzen können, daß auch die Orchesterparthie keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darbiethen würde, (allerdings hätte die Instrumentirung hie und wieder abgeändert und vereinfacht werden müssen, da unser Orchesterraum so beschränkt ist, daß wir keine außergewöhnliche Instrumente placiren13 können,) so zweifelte ich nicht mehr, daß die14 Freude zu Theil15 werden würde, den zahlreichen Verehrern Ihres16 „fl. Holländers”17 auch dieses Ihr18 neues Werk vorführen zu dürfen, doch mußte, dem Befehl gemäß erst die Genehmigung des Prinzen eingeholt werden und diese hat er nun unbegreiflicher Weise verweigert, ohne irgend einen Grund dafür19 anzuführen!20 Daß mir dieß an sich und weil wir Hoffnung hatten, Sie bey der Aufführung der Oper hier zu sehen, höchst schmerzlich ist, brauche ich Ihnen nicht erst zu versichern; doppelt unangenehm berührt es mir aber, daß es in einem Zeitpunkt geschieht21, wo ich von Ihrem Intendanten eine große Kränkung erduldet habe.22 Ohne diese hätte ich es Herrn Birnbaum überlassen, Ihnen das unangenehme Ereigniß zu melden; so schien es23 mir24 aber nöthig, daß ich Ihnen selbst die hiesigen traurigen Verhältnisse auseinander setze. Aus Ihrem Briefe an Herrn Birnbaum25(, den er mir aber ich weiß nicht warum, erst heute Vormittag, wie ich ihn mit26 der Antwort des Prinzen bekannt machte, mitgetheilt hat,) ersehe ich, daß Ihnen die Unart Ihres Intendanten gegen mich ebenfals schmerzlich gewesen ist.27 Ich lege Ihnen daher eine Abschrift meiner Antwort28 an ihn bey und bitte Sie sie29 Ihren und meinen dortigen Bekannten, die sich für mich als Künstler interessiren geffäligst mittheilen30 zu wollen. Hätte Herr von Lüttichau mir31 statt der ganz beschmuzten, zu weiterer Verwendung völlig unbrauchbaren Partitur, das Honorar eingesandt, und die Gründe, warum die Oper jetzt in einer Zeit religiöser Aufregung auf dem32 Hoftheater eines katholischen Hofs nicht gut gegeben werde könne, mit Höflichkeit auseinander gesetzt, so hätte er gethan, was sich für ihn schickte und ich hätte mich nicht zu beklagen gehabt. So habe ich aber, ich läugne es nicht, diese Kränkung, die erste der Art in meinem langen Künstlerleben, tief empfunden. Doch genug davon und nun noch eine33 Anfrage.
Da ich nun nicht nach Dresden und Sie nicht hieher kommen werden; da ich aber doch34 so sehr mich darauf gefreut hatte, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen und einige Tage künstlerisch mit Ihnen zu verkehren, so frage ich an:35 Hätten Sie nicht Zeit und Lust auf einige Tage nach Leipzig zu kommen? Ich gedenke nämlich dort auf der Hin36-Reise nach Carlsbad oder auch nach beendigter Kur einen Aufenthalt zu machen und würde mich unendlich freuen, Sie dort zu treffen. Welche Zeit wäre Ihnen, fals Sie auf meinen Vorschlag eingehen,37 welche(?) gelegen, die 2te Hälfte des Juni oder Ende Juli?
Leben Sie wohl und erhalten Sie mir ferner Ihr freundschaftliches Andenken.
Mit wahrer Hochachtung und Freundschaft ganz

der Ihrige
L. Spohr.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wagner an Spohr, 16.07.1845.
Dieser derzeit nur als Entwurf überlieferte Brief kann frühestens am 23.03.1846 entstanden sein, da Spohr diesem Brief eine Abschrift eines Briefs an August von Lüttichau von diesem Datum beilegte (vgl. Anm. 28). Dass der Prinzregent und spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm ebenfalls am 23.03.1846 die Inszenierung des Tannhäusers ablehnte (vgl. Anm. 20), spricht dafür, dass Spohr diesen Brief direkt an diesem Tag selbst oder kurz danach schrieb.
Wagner beantwortete diesen Brief am 17.05.1846.

[1] Hier ein Wort gestrichen.

[2] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.

[3] „selbst” über der Zeile eingefügt”.

[4] „erlebt” über gestrichenem „gehabt” eingefügt.

[5] „troz” über gestrichenem Wort eingefügt.

[6] Hier ein Wort gestrichen.

[7] „jetzt” über der Zeile eingefügt.

[8] „der” über gestrichenem Wort eingefügt.

[9] Abkürzung für „Generaldirektor”.

[10] Hier ein Wort gestrichen.

[11] Völlig unleserlich.

[12] „Ihnen” über der Zeile eingefügt.

[13] „placiren” neben gestrichenem Wort am rechten Rand eingefügt.

[14] „die” neben gestrichenem „uns” am rechten Rand eingefügt.

[15] Hier ein Wort gestrichen.

[16] „Ihres” anscheinend aus „Ihrer” verbessert.

[17] „fl. Holländers” neben gestrichenem „andern Opern” am linken Rand eingefügt.

[18] „Ihr” über der Zeile eingefügt.

[19] „dafür” über der Zeile eingefügt.

[20] Vgl. Hessisches Staatsarchiv Marburg (D-MGs), Best. 300 A 4/4.

[21] „geschieht” neben gestrichenem „vorfällt” am linken Rand eingefügt.

[22] Vgl. August von Lüttichau an Spohr, 05.03.1846.

[23] „es” über der Zeile eingefügt.

[24] Hier gestrichen: „es”.

[25] Zumindest in Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 2, hrsg. v. Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1980 ist für 1845 kein Brief von Wagner an Carl Birnbaum überliefert.

[26] „mit” über der Zeile eingefügt.

[27] Hier gestrichen: „Ich theile Ihnen daher den Inhalt des Briefs”.

[28] Spohr an August von Lüttichau, 23.03.1846.

[29] „sie” am linken Rand eingefügt.

[30] Hier zwischen „mit” und „theilen” gestrichen: „zu”.

[31] „mir” über der Zeile eingefügt.

[32] „auf dem” über unleserlich gestrichenem Wort eingefügt.

[33] Hier gestrichen: „Bitte von”.

[34] „doch” über der Zeile eingefügt.

[35] „so frage ich an:” über der Zeile eingefügt.

[36] Hier gestrichen: „oder Her”.

[37] Hier ein Wort unleserlich gestrichen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (31.08.2017).