Autograf: Library of Congress Washington (US-Wc), Sign. Gertrude Clarke Whittall Foundation/Mendelssohn Collection, ML 30.8j
Abschrift: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. MA Nachl. 7,64/1,17
Druck 1: Hermann Erler, „Ungedruckte Briefe von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Nach den Originalen“, in: Berliner Tageblatt 17.01.1890, S. [8]ff., hier S. [10]
Druck 2: Felix Mendelssohn Bartholdy, Briefe, hrsg. v. Rudolf Elvers, Frankfurt am Main 1984, S. 235f.
Druck 3: John Michael Cooper und R. Larry Todd, „'With True Esteem and Friendship'. The Correspondence of Felix Mendelssohn Bartholdy and Louis Spohr“, in: Journal of Musicological Research 29 (2010), S. 171-259, hier S. 255f.; englische Übersetzung S. 213f.
Druck 4: Felix Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 11, hrsg. v. Susanne Tomkovič, Christoph Koop und Janina Müller unter Mitarb. v. Uta Wald, Kassel u.a. 2016, S. 205f.
Beleg: Rare and Interesting Autograph Letters, Manuscripts, and Historical Documents (= Katalog Noel Conway & Co), Birmingham [1892], S. 54

Herrn
Herrn Kapellmeister Dr. L. Spohr
&c. &c. &c.
In
Cassel.

Hiebei H.L.S. ein
Paket in Wachsleinwand

frei1


Leipzig d. 14ten Februar
1846

Hochgeehrter Herr Kapellmeister

Zürnen Sie mir nicht, das ich es gewagt habe, ohne vorhergegangne Anfrage, Ihnen das beifolgende Trio zu widmen. Hauptmann versicherte mir, Sie würden es auch ohnedem freundlich annehmen und so hoffe ich denn, das er sich nicht geirrt haben möge. Gern hätte ich mir eine so hohe Ehre für ein2 etwas größeres3 Stück aufgespart; aber ich hatte es dann wieder verschieben müssen, wie ich es schon so oft aus diesem nämlichen Grunde verschoben habe; es war mir nichts gut genug dazu, und nun ist es mir freilich dies Trio auch wieder nicht. Aber ich denke, Sie sehen mehr auf den Willen und ich wollte nicht mehr zögern Ihnen auch meinestheils einmal die herzliche Dankbarkeit auszusprechen, die ich Ihnen fur so viele, viele Genüsse, für so viele Belehrung schuldig bin! Solcher Dank, wie ich ihn meine und Ihnen gegenüber fühle, spricht sich doch niemals in äuserlichen Zeichen aus; so nehmen Sie denn auch mit diesem ungenügenden freundlich und nachsichtig vorlieb!
Lassen Sie mich auch bei dieser Gelegenheit meinen Dank fur die Manuscript-Stücke wiederholen, die Sie uns so gütig zur Aufführung gesandt haben, und verzeihen Sie nur, das wir einige davon langer hier behalten musten, als in meiner Absicht lag. Die Stimmen der Kreuzfahrer musten plötzlich nach Berlin, woher sie uns geliehen waren, zurückgesandt werden und sind erst eben von dort wiedergekommen; ich freue mich auf diese Aufführung ganz auserordentlich; wir haben die Chöre mit etwa 200 Stimmen jetzt in 6 Proben tüchtig geübt, bekommen auch eine Orgel dazu aufs Orchester, und so hoffe ich daß es gut gehen wird. Gestern hörten wir zu unsrer Freude das Quartett-Concert in dem Concert fur den Musikerfonds; David, Sachse, Gade und Wittmann spielten es, u. hatten es Ihrer Weisung nach am Clavier vorher studirt, so das es gut u. sicher zusammenging. Doch fand ich Ihre Bemerkung, das es manche Schwierigkeiten habe auch gestern noch bestätigt, sogar in der Orchesterbegleitung war es noch nicht ganz fehlerfrei.4 Morgen schicke ich Alles davon nach Wien an die mir aufgegebne Adresse, und heut über 8 Tage hoffe ich das Quintett zu spielen, das5 wir bei dem grosen Musiker-Gedränge hier erst einmal ganz flüchtig probiren konnten, und das auch fest und genau gekannt sein will, ehe es öffentlich vorgetragen werden darf. Dazu denke ich aber in der nächsten Woche einige freie Abende zu finden, u. danke Ihnen schon im Voraus für das neue Vergnügen das mir dadurch bereitet werden wird. Auserdem ist noch die Concert-Ouverture im ernsten Styl auf unserm Programm, und als wir vor einiger Zeit die Weihe der Töne gaben, da hatte ich Sie wohl hergewünscht; denn so gut habe ich die Symphonie noch gar nicht gehen hören, und ich bilde mir ein auch Sie wären zufrieden gewesen.6 Das Orchester spielte so ganz mit der rechten Lust!
Und nun leben Sie wohl, verehrter Herr Kapellmeister und erhalten Sie ein freundliches Andenken Ihrem aufrichtig und von ganzem Herzen ergebnen

Felix Mendelssohn Bartholdy.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Mendelssohn, 15.01.1846. Spohr beantwortete diesen Brief am 22.02.1846.

[1] Links über dem Adressfeld befindet sich ein Poststempel „LEIPZIG / [14] Febr 46“, rechts über diesem Stempel ein weiterer „MÜHLHAUSEN / 15 FEBR.“.

[2] „ein“ über der Zeile eingefügt.

[3] Hier ein Wort gestrichen.

[4] Zum Konzert am 13.01.1846 vgl. L.R., „Leipzig, den 14. Februar 1846“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 48 (1846), 121ff., hier Sp. 123; F[ranz] B[rendel], „Leipziger Musikleben“, in: Neue Zeitschrift für Musik (1846), S. 31f., 40, 43f. und 71f., hier S. 72.

[5] Hier gestrichen: „ich“.

[6] Vgl. „Spohr’s Symphonie, ,die Weihe der Töne,‘ die in fast jedem Winter in unsern Concerten zur Aufführung kommt, verfehlte auch diesmal ihren schönen, erhebenen Eindruck nicht. Die Poesie und Gewandheit, mit welcher Spohr darin bald milde, bald kräftige, hier ernste, dort heitere Lebensbilder vorführt, die einzige und geistreiche Verschmelzung dieser einzelnen Theile zu einem abgerundeten Ganzen, lässt in allen Zügen die Meisterhand erkennen, die noch im höheren Alter mit jugendlicher Frische und Rüstigkeit dem Dienste der Kunst sich widmet. Und wo das schöne Werk so ausgeführt wird, wie hier und diesmal unter Mendelssohn’s Direction, da wird und muss es den Hörer zu wahrhaften Freude und Begeisterung führen.“ (L.R., „Leipzig, den 13. Dezember 1845“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 915f., hier Sp. 916).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.06.2020).