Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
dem Herrn Hof-Capellmeister
Dr Louis Spohr
in
Cassel.

frei.


Rudolstadt den 10ten
Januar 1846.

Hochverehrter Freund!

Ein großer Verehrer von Ihnen, der Doct. Keferstein, Verfasser mehrerer interessanter Aufsätze über Musik, wünscht gern das Textbuch von Ihrem Oratorium „Babylon“ und wo möglich ein Blatt MS. von Ihrer Hand für seine Autographensammlung zu haben. Es ist ein äußerst interessanter und geistreicher Mann, welcher nur für Musik lebt und webt und welchen Sie daher durch die Erfüllung seines Wunsches eine große Freude bereiten und zu dem herzlichsten Danke verpflichten würden.
Seit dem Tode unsers Erbprinzen, einziger Sohn des jetzt regierenden Fürsten, welcher den 11ten November gestorben, haben wir noch keine öffentliche Musik, außer den Kirchenmusiken zu Weihnachten und Neujahr gehabt. Erst seit Gestern habe ich eine Einladung zu noch 4 Concerten für diesen Winter ergehen lassen und bin sehr gespannt ob solche Anklang finden wird.
Auch unser Freund von Holleben hat einen sehr harten Verlust erlitten. Die einzige Tochter, ein höchst liebenswürdiges Mädchen von 18 Jahren, welche sich besonders für Musik interessirte, starb ebenfalls im November. Ueberhaupt weiß ich mir noch in keinem Jahre so viele bedeutende Todesfälle als wie im vergangenen zu erinnern. Daß dies in einer so kleinen Stadt sehr nachtheilig auf die Musik einwirke muß werden Sie mir gewiß zugestehen und ich wünsche daher nichts sehnlicher, als daß sich dies neue Jahr freundlicher gestalten möge.
Ihr schönes Lied, welches Sie die Güte hatten meinem Bruder für sein Album zu senden, ist nicht allein in der musik. Zeitung No 44 äußerst glänzend vom Dr Keferstein beurtheilt worden1, sondern hat sich auch einer sehr guten Anahme zu erfren und mein Bruder läßt daher sehr bitten, daß Sie ihm noch ein zweites, (für die andere Abtheilung,) gütigst zukommen lassen möchten2, mit Vergnügen wird er sogleich das Honorar, welches Sie gefälligst bestimmen wollen dafür einsenden.
Haben Sie die Güte gehabt meine Symphonie und Ouvertüre durchzusehen und finden Sie solche einer Aufführung bei Ihnen werth?
Wen unsere Concerte für diesen Winter noch zu Stande kommen, werde ich mit Ihrer Symphonie „die Weihe der Töne“ den Anfang machen.
Im 2ten Concerte soll dann die Ode Symphonie von David daran kommen. Leider kann ich bis jetzt nach dem Clavierauszug zu urtheilen, noch nicht in das allgemeine große Lob einstimmend. -
Mit der ergebensten Bitte mich Ihrer verehrten Gemahlin auf das herzlichste empfehlen zu wollen zeihnet sich mit der vorzüglichsten Hochachtung und Ergebenheit

Ihr
FMüller.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Müller an Spohr, 26.01.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Müller an Spohr, 24.08.1849.

[1] Vgl. Kfn. [= Gustav Adolph Keferstein], Rez. „Liedersammlung“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1854), Sp. 777f.

[2] Vgl. Gotthelf Müller an Spohr, 29.05.1845.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.07.2020).