Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
An Seine Wohlgeboren
Herrn Louis Spohr
Doctor der Tonkunst Churfürstlich
Hessischer Hofcapellmeister &c &c
zu Cassel
Großherzogthum Hessen1
Sehr geehrter Herr Hofkapellmeister!
Ich beeile mich, Ihren gestern erhaltenen Brief, der mir recht viel Freude gemacht hat, zu beantworten. Unsere Concerte finden am 26. Februar 5. 12 und 19. März statt, bis dahin wird uns sowohl Ihre Ouverture, auf die wir uns sehr freuen, als auch Ihr Quartett-Concert, um welches wir sehr bitten, zukommen und wir werden keine Mühe scheuen, letzteres gut zu besetzen,2 worüber später das Nähere. Es versteht sich auch daß ich das Manuscript wie meinen Augapfel hüten werde und kein Mißbrauch zu fürchten ist. Haben Sie nur die Gefälligkeit, veranstalten zu wollen, daß mir Ihre beiden Werke, einzeln oder zusammen bald möglichst durch Postwagen unter meiner Ihnen bekannten Adresse (Wien Stadt 1142) zugefertigt werden, denn es gibt Stimmen zu doubliren, vielleicht eine Partitur aus den Stimmen zusammenzusetzen und dies alles geschieht andenklicher, wenn die Zeit nicht zu sehr drängt. Ich bitte Sie im voraus meinen ergebensten Dank für uns anzunehmen und verssichert zu sein, daß wir stolz auf die Theilnahme sind, die Sie unserm Unternehmen beweisen.
Von Berlioz haben einige Werke, seine Ouverture zum römischen Carnaval, Theile seiner épisode de la vie d‘un artiste3 und seiner 2ten Sinfonie4 gefallen, mit Roméo und Juliette hat er sich den Hals gebrochen.5 Mein Urtheil über letzteres ist kurz in folgende Worte gefasst: müßte ich es drei Tage lang Vor- und Nachmittag hören, so könnte man mich in ein Narrenhaus sperren Ich kannte dieses Product noch nicht, als ich ihm die Anrede hielt, die ich übermache, weil ich als Belgier doch französisch kann und fürchtete, Wien möchte sich eine Blöße geben. Ueberdieß lobte ich nur bedingt und Jeder kann es nehmen, wie er will. Man halte Extravaganzen vor, die ich vermieden haben wollte. Uibrigens ließe sich über die Mehrheit des Publicums eine tüchtige Satyre schreiben, doch zu was nütze sie? Meine Frau dankt vielmals für Ihre gütige Erinnerung und wir bitten beide, uns dem Andenken Ihrer Gemahlin bestens zu empfehlen. Ich bin mit vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit
der Ihrige
Lannoy
Wien 5. Januar 1846
Autor(en): | Lannoy, Eduard von |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | |
Erwähnte Kompositionen: | Berlioz, Hector : Le carnaval romain Berlioz, Hector : Harold en Italie Berlioz, Hector : Roméo et Juliette Berlioz, Hector : Symphonie fantastique Spohr, Louis : Konzert-Ouvertüre im ernsten Stil, op. 126 Spohr, Louis : Konzerte, Vl 1 2 Va Vc Orch, op. 131 |
Erwähnte Orte: | Wien |
Erwähnte Institutionen: | Concerts spirituels <Wien> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1846010545 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Lannoy, 26.12.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lannoy an Spohr, 27.03.1846.
[1] Über und unter dem Adressfeld Poststempel: „WIEN / 5. JAN“ und „10 JAN 3“.
[2] Hier gestrichen: „worüber“.
[3] Ursprünglicher Titel der Symphonie fantastique.
[4] Harold en Italie, op. 16. – Zu den bis hier erwähnten Kompositionen Berlioz* vgl. A[lfred] J[ulius] Becher, „Über Hektor Berlioz“, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung 5 (1845), S. 573ff. und 589ff.; „Erstes Concert des Hrn. Hector Berlioz, vorgestern im Theater an der Wien“, in: Humorist 9 (1845), S. 1102; „Das zweite Concert des Herrn Hektor Berlioz“, in: ebd., S. 1126; „Das dritte und letzte Concert des Herrn Hektor Berlioz“, in: ebd., S. 1146; Carl Walter, „Hector Berlioz“, in: Wiener Zeitschrift für Kinst, Theater und Mode 30 (1845), S. 2690f.; „Concert des Hrn. Hector Berlioz“, in: Österreichisches Morgenblatt (1845), S. 566f. und 570.
[5] Vgl. „Romeo und Julie, dramatische Sinfonie von Hektor Berlioz“, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung 6 (1846), S. 10f.; Ferdinand Luib, „Großes Instrumental- und Vocal-Concert des Hrn. Hektor Berlioz. Ehevorgestern im k. k. priv. Theater an der Wien“, in: Wanderer 32 (1846), S. 16; „Romeo und Julie, dramatische Sinfonie von Hektor Berlioz“, in: Sonntagsblätter 2 (1845), S. 28ff.; Iganz Lewinsky, „Romeo und Julie von Hector Berlioz“, in: Wiener Zeitschrift für Kinst, Theater und Mode 31 (1846, S. 26f.; F.H., „Romeo und Julie, von Hector Berlioz“, in: Österreichisches Morgenblatt 11 (1846), S. 10f.; Carl Walter „Concert des H. Berlioz im Theater an der Wien“, in: Wiener Zeitung (1846), S. 87; „Hektor Berlioz“, in: Humorist 10 (1846), S. 17; Th. Sober, „Romeo und Julie […], in: Sammler 38 (1846), S. 12; J.M. Waldschütz, „Romeo und Julie, dramatische Symphonie in zwei Abtheilungen, von Hektor Berlioz“, in: Wiener Zuschauer (1846), S. 23f.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit nicht in den Anmerkungen anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.11.2021).