Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 26t Novbr. 1845.

Wenngleich, mein innigst verehrtester Gönner! dieser merkwürdige November-Frühling die erste Bereitung Ihrer Lieblings-Speise noch wenig begünstigt: so können wir uns doch die Freude nicht versagen, Ihnen sofort ein Pröbchen davon zu präsentiren!
Leider lächeln mir selbst diese so ungewöhnlich heiteren November-Sommerstrahlen nur durch doppelte Fenster! – indem meine halbe Ahndung sich nur zu bald erfüllt hat! – Ein gleich am Tage nach meiner hiesigen Ankunft, 18t v.M., realisirter medicamentlicher Mißgriff steigerte noch in derselben Nacht meine Fuß-Entzündung höher, als sie in dem diesmaligen Anfalle überall noch gewesen war, und aller Gebrauch des linken Fußes war nun so unmöglich, daß ich bereits seit dem 19t v.M. an ein ununterbrochen festes Lager gefesselt geblieben bin, daher auch für diese Zeilen dictirend eine fremde Feder benutzen muß, und wohl den größten Theil des Winters, ganz so wie im Jahre 1834/35,, liegend werde zubringen müssen! ein Mißgeschick, welches ich allerdings als doppelt hart empfinde, da ich es, auch nach dem offen ausgesprochenen Urtheile des Hof-Rath Fuchs zu Göttingen, zunächst den argen Mißgriffe des Arztes1 zu zuschreiben habe, in dessen Hände in Wiesbaden zu fallen, ich das schwere Unglück gehabt habe! –
Meine übrige Gesundheit erscheint dabei indessen bis jetzt ungefährdet. –
Doch, – längst zu viel von mir selbst! – Ihre so wohlthuend und erquickend mehrfach ausgesprochene liebevolle Theilnahme an meinem Ergehen mag das entschuldigen! –
August Kömpel hat mir das hier wieder anliegende Schreiben seines Vaters2 gesandt, mit dem Bemerken, daß Sie, mein innigst verehrtester Freund! das Reisen für solchen Ihren lieben Schützling nicht für nützlich hielten, so lange er noch nicht etwas ordentliches leiste, Sie aber gleichwohl mich darüber bestimmen lassen wollten.
Dringend aber bitte ich Sie, mein innigst verehrtester Freund! dort(?) über ganz allein nach Ihrer gleichzeitig eben so sach- und fachverständigen als liebevoll [???] Einsicht und Überzeugung entscheiden zu wollen! – unter dem Hinzufügen, daß ich die Kosten samt ferneren dortigen Aufenthaltes Herzens gern so lange sichern werde, als Sie ihn des so unendlich viel größeren Opfers Ihres liebevollen Unterrichtes würdig und werth befinden und erachten; – wenngleich ich daneben nicht unpaßlich erachte, daß für denselben Zweck auch die erhaltene, und die durch die viel vermögende Verwendung der für alles Gute so warm sich interessirenden Frau v.d. Malsburg Excl.3 noch ferner etwa zu erlangenden Gaben seines Königs, ebenfalls mit verwandt werden; so daß ich zunächst in die Rolle des Bürgen für die Zeitpuncte bescheiden zurück trete, wo dergleichen Königl. Gaben consumirt sein werden; worann größere Garderobe-Ausgaben für den Augenblick wahrscheinlich keinen Antheil nehmen werden, da ich ihm einen neuen Anzug erst hier habe machen lassen. Ob er zu einem eigentlich großen Künstler sich entwickeln werde, wozu Ihre unendliche Großmuth ihm so viele Gelegenheit eröffnete, wird mir insofoern zweifelhaft, zu als auch das entschiedenste Talent eine hohe Stufe am Parnasse ohne großen und consequenten Fleiß nicht zu erklimmen vermag! und dieser eigentliche Fleiß, die eigentliche Künstler-Assiduität4 ist das, was ich bei dem talentreichen Knaben bis jetzt vermisse. Sollte er meinen derartigen Besorgnisse weiterhin höchst erwünschter Weise thatsächlich widerlegen so werde ich ihm aus vollem Herzen der Ersparungen gern auf andere Weise nach Ihrer Berathfragung zuwenden, welche dergleichen Königliche Gaben in Bestreitung der Kosten seines jetzigen dortigen Aufenthaltes etwas reichen lassen.
Haben Sie die Güte ihm zu sagen, daß ich recht bald ihm auch sein erstes etwas flüchtiges Schreiben beantworten würde; woebi ich aus mehreren Rücksichten nur doppelt bedaure, daß es nicht eigenhändig geschehen kann.
Ihnen wie Ihrer theuren Frau Gemahlinn mit meiner Frau auf das herzlichste mich empfehlend, unwandelbar

Ihr
so innig dankbarer als
warmer Verehrer
CFLueder.


G.N.S. – Dürfen wir ohne Unbescheidenheit uns die gehorsamste Bitte erlauben, der Frau von Malsburg eine Leber- und eine Weisse Wurst mit unseren ehrerbietigst-herzlichsten Empfehlungen hochgeneigtest überreichen lassen zu wollen? –

Autor(en): Lueder, Christian Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Fritze, Wilhelm
Fuchs, Conrad Heinrich
Kömpel, August
Kömpel, Georg
Malsburg, Caroline von der
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Wiesbaden
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845112635

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 09.08.1845. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, bis 19.01.1847.
Offensichtlich diktierte Lueder diesen Brief und setzte nur Grußformel und Unterschrift unter den Text.

[1] Wilhelm Fritze.

[2] Georg Kömpel.

[3] Abk. f. „Excellenz“.

[4] „Assiduität = Ausdauer, Beharrlichkeit („Assiduität“, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.09.2021).