Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Monsieur
Monsieur Spohr
maître de chapelle
à
Hesse-Cassel

franco destination1


Genf den 21sten Nov 1845.

Hochverehrtester Herr Kapellmeister!

Durch meinen Bruder2 in Dordrecht ist mir der Antrag zur Übernahme der Stelle des Directors der dortigen Musikgesellschaft gemacht worden. Da ich gesinnt bin diese Stelle anzunehmen, u habe ich dem Präsident3 jener Gesellschaft geschrieben er möge sich an Sie, hochverehrtester Herr Kapellmeister wenden um Erkundigungen über meine musikalischen Leistungen einzuholen u da ich in Bern sehr oft Opern dirigirt habe u hier gegenwärtig die französische u italienische Oper in Abwesenheit des Directors leite, so glaube ich ziemlich im Dirigiren geübt zu sein und jene Stelle gewissenhaft versehen zu können und bitte Sie daher lieber Herr Kapellmeister, wenn man von Dordrecht an Sie schreiben sollte, für mich zu sprechen. Auch erlaube ich mir Ihnen zu schreiben dass vor Kurzem eine Composition von mir in Paris herausgekommen ist u ich dadurch auch eine Aufmunterung fortzuarbeiten erhalten habe.
Noch bitte ich Sie recht sehr um Verzeihung daß ich es mir erlaubte Sie um einen Text zu einer Mezzo-Sopran-Arie zu bescheren; ich habe es aufgegeben eine solche zu componiren, aber dafür ein musikalisch-dramatisches Gedicht: Baumgartner, das mir ein hiesiger Dichter mittheilte, für die hiesige Bühne zu componiren angefangen.
Durch französische u durch die deutsche Zeitung4 habe ich mit vieler Freude Neuigkeiten über Sie aus Berlin, wo Ihnen sämmtliche Mitglieder des Hoforchesters, Meyerbeer an der Spitze einen silbernen Lorbeerkranz mit ihrem Namen, nach Aufführung Ihrer neuen Oper überreichten5; dann über das Musikfest in Bonn, wo man Sie so gefeiert hat6, gelesen. Es hat mich innig bewegt Sie an der Spitze von so vielen berühmten Männern zu sehen u zu erfahren, wie sehr Sie von ihnen verehrt und geachtet sind, auch wird es Ihnen manche sonstige unangenehme Augenblicke vergessen oder weniger fühlbar machen, da es der Ausspruch einer ganzen Nation u der ihrer würdigsten Repräsentanten ist.
Wenn ich den Platz in Dordrecht erhalten sollte, so werde ich es mir erlauben, Ihnen von dort aus zu schreiben, wie ich meine neue Stellung gefunden habe. Sollte es mir nicht glücken, so gedenke ich hier in diesem Winter Ihr 13tes Concert7 zu spielen, daß ich fortwährend studirt u ziemlich in der Gewalt zu haben glaube. Ihr neustes Concert8 habe ich noch nicht erhalten können.
Ich bitte um meine gehorsamste Empfehlung an Frau Kapellmeister.
Leben Sie wohl Herr Kapellmeister und empfangen Sie meine größte Hochachtung und Verehrung von Ihrem Sie so unaussprechlich liebenden

Ferdin. Böhme

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bauduin, Johannes Jacobus
Eysholdt, Wilhelm
Meyerbeer, Giacomo
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 128
Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 92
Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Berlin
Bonn
Genf
Erwähnte Institutionen: Beethovenfest <Bonn>
Euterpe <Dordrecht>
Hofkapelle <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845112140

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 04.06.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Böhme an Spohr, 31.03.1846.

[1] Links oben befindet sich auf dem Adressfeld der Poststempel „GENEVE / 25 / NOV. / 45“, rechts unten befindet sich der Stempel „P.P.“, unter dem Adressfeld befindet sich der Stempel „29 NOV 18[45]“.

[2] Böhmes Halbbruder Wilhelm Eysholdt war seit 1840 als Violoncellist in Dordrecht angestellt (vgl. Franz Kössler, Personenlexikon von Lehrern des 19. Jahrhunderts. Berufsbiographien aus Schul-Jahresberichten und Schulprogrammen 1825-1918 mit Veröffentlichungsverzeichnissen, Gießener Elektronische Bibliothek 2008, Bd. 5, S. [145]).

[3] Johannes Jacobus Bauduin (vgl. J[ohannes] J[acobus] Bauduin, „Dordrecht’s Euterpe“, in: Bredasche Courant 07.06.1846, S. [3]).

[4] Noch nicht ermittelt.

[5] Vgl. hierzu die Rede von Giacomo Meyerbeer an Spohr, 28.07.1845 und den dortigen Kommentar.

[6] Vgl. Spohr an Moritz Hauptmann, 26.09.1845, Anm. 1.

[7] Op. 92.

[8] Op. 128.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.09.2020).