Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Hochwohlgeborener Herr!
Hochzuverehrender Herr General-Musikdirektor!
Schon seit zwanzig Jahren verfolgt mich ein Mißgeschick, welches meinem Verlangen Ew Hochwohlgeboren nähere Bekanntschaft machen zu können, jederzeit entgegentritt. Schon als Knabe in einem Ihrem Gedächtniß vielleicht schon ganz entschwundenen Lebenskreise, hatte ich das Vergnügen, Sie in Gesellschaft des Herrn Eck im Hause des damaligen Kaufmann, nachmaligen Ober-Bürgermeister Deetz in Königsberg, meiner Vaterstadt zu sehen, und der bedeutende Künstler fesselte mit jedem Schritt, den er in der Erlangung europäischer, ja Weltberühmtheit vorwärts that, meine Aufmerksamkeit und führte stets jene erste Erscheinung mir gegenüber ins Gedächtniß und lebhafte Erinnerung zurück, ohne daß es mir möglich wurde den Gefeierten jemals wiedersehen zu können. Im Jahre 1816 kam ich nach Breslau, und nach dem unglücklichen Verlust meiner Frau im Februar 1825 nach Berlin, um dort die Grundlage meiner jetzigen Verhältniße vorzubereiten. Jessonda, die erste Vorstellung davon, war in den Zeitungen angekündigt; Herr Marx hatte die Güte, mich mit einem Empfehlungs-Schreiben1 an Sie zu beehren; am Abend nach der ersten Vorstellung der Oper traf ich in Berlin ein; schon am Morgen darauf hatten Sie Berlin verlaßen und, irre ich nicht, so habe ich Ihnen damals den Brief des Herrn M. nach Cassel gesandt. Wie oft2 auch eine Bade-Saison zu Carlsbad uns3 zusammen zu bringen, mir die Hoffnung machte, immer kam ich zu spät, und selbst als ich im Jahre 1836 Cassel auf einer Durchreise besuchte, fand sich ein Hinderniß, Ihnen den so lange gewünschten Besuch machen zu können. – Endlich wurde mein Reiseplan für dieses Jahr schon im Voraus zu diesem Zweck so angelegt, daß ich einige Tage in Cassel bleiben konnte, wozu mich die vorübergehende ehrenvolle Bekanntschaft, welche ich die Ehre gehabt hatte, in Bonn zu erlangen4, umso mehr aufforderten, so daß ich mir sogar von Ihnen die Erlaubniß erbat, Sie in Cassel besuchen zu dürfen. Nach einem durch einen kranken Fuß verzögerten Aufenthalt in Bonn und nachdem ich Belgien bis Ostende durchstreift hatte, gelangte ich endlich am 22 Septbr nach Elberfeld, um von dort aus meinen Weg über Cassel nach Hannover zu nehmen, aber siehe da, ganz ausnahmsweise findet von Elberfeld nach Cassel nur zweimal wöchentlich eine Postverbindung statt, eine Stunde vor meiner Ankunft in Elb. war der Eilwagen abgegangen, und mir blieb nur übrig, entweder bis zum 6ten Mittags in Elb zu verweilen oder direkt unter Aufgabe der Reise nach Cassel über Bielefeld u Minden nach Hannover zu gehen. – Da ich den 17t Septbr hier die Sing-Academie wieder eröffnen mußte, und meine Tochter zu Berlin zu besuchen hatte, unter Abwicklung mancher Geschäfte mit der vorgesetzten Behörde, so mußte ich leider das letztere wählen – Ich halte es nun nicht nur den Gesetzten der Höflichkeit angemeßen, sondern es ist mir auch ein Bedürfniß, mich bei Ew. Hochwohlgeboren durch Darstellung dieser Verhältniße wegen Nichterfüllung meiner Anmeldung zu entschuldigen, indem ich es lebhaft bedaure, daß es mir nicht vergönnt gewesen ist, mich Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin auf meiner Reise vorzustellen, und von dem Kunstleben zu Cassel durch eigene Auffassung Kenntniß gewinnen zu können, wobei noch andere Gründe obwalten, welche mir es sehr wünschenswerth machen, Ew. Hochwohlgeboren persönlich bekannt zu werden, Gründe, welche keinesweges aus der Absicht, irgend einen äußern Vortheil dadurch gewinnen zu wollen, entspringen. –
Indem ich Ew. Hochwohlgeboren ergebenst ersuche, diese meine Entschuldigung gütigst und freundlichst auf zu nehmen, wünsche ich Ihnen alles Heil und Segen in Herz und Haus und daß Sie der Himmel noch recht lange in Ihrem segensreichen Wirken, der gesamten Kunstwelt ein Muster, den Deutschen aber ein edler Vorbild, erhalten und bewahren möge. Wird mir für meine Lebensdauer eine gleiche Gnade gewährt, so erfüllt sich auch wohl noch mein Wunsch, den ich schon so lange vergeblich gehegt habe. –
Mich Dero Wohlgewogenheit ergebenst empfehlend, habe ich die Ehre mit dem Ausdrucke hochachtungsvollster Ehrerbietung zu verharren
Ew Hochwohlgeboren
ganz ergebenster Diener
Mosewius
Breslau d. 4. Novbr.
1845
Autor(en): | Mosewius, Theodor |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Deetz, Martin Gottlieb Eck, Franz |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Jessonda |
Erwähnte Orte: | Berlin Bielefeld Bonn Breslau Elberfeld Hannover Karlsbad Kassel Königsberg Minden Ostende |
Erwähnte Institutionen: | Beethovenfest <Bonn> Singakademie <Breslau> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845110444 |
Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Marx an Spohr, 28.06.1849.
[1] Dieser Brief ist derzeit verschollen.
[2] Hier gestrichen: „uns“.
[3] „uns“ über der Zeile eingefügt.
[4] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 10.08.1845.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.08.2024).