Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,110
Druck 1: [Ernst Rychnovsky], Beschreibendes Verzeichnis der Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag, 2. Aufl., Prag 1900, S. 172 (teilweise)
Druck 2: Michael Zywietz, Adolf Bernhard Marx und das Oratorium in Berlin (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 9), Eisenach 1996, S. 39
Herrn Hofkapellmeister
L. Spohr
Wohlgeboren
in
Kassel.
frei
Hochverehrter Herr Kapellmeister!
Mitten aus den Proben heraus schreibe ich an Sie, weil in dieser mich mächtig bewegende Zeit Ihre Zusicherung, den Mose in Kassel zur Aufführung zu bringen, mir wie ein Hoffnungsstern vorschwebt.
Darf ich von dem wachsenden Antheil, den mein Werk auch hier erregt, weiter schließen, so wird der hiesige Erfolg den frühern gleichen. Wär es aber auch noch so günstig und wiederholte es sich an zehn Orten: immer würde es das entscheidenste Glück für mein Werk und für mich sein, wenn Sie, verehrtester Herr, Ihr gütiges Versprechen recht bald erfüllen. Denn, wenn der ehrwürdige Veteran, der treue deutsche Tondichter einem Werke seinen Antheil zuwendet, so giebt es für die deutschen Musiker keine höhere Entscheidung – und für mich kein günstigeres Geschick. Ich denke, indem ich dies sage, nicht an die Vortheile, die eine solche Entscheidung meinen menschlichen Verhältnissen bringen würde, sondern ich schreibe im Gefühl der Liebe und Treue, die ich meiner Aufgabe zugewandt habe, in einem Gefühl und Bewußtsein, das eben jetzt durch die Proben neu erwacht, und erhellt ist. Allerdings bin ich hier und da (Vielleicht sehr viel) von dem Wege unserer Vorgänger und der Meister abgewichen. Allein Treue gegen sich selbst ohne Furcht, wenn man sich auf eignen Wegen sieht, scheint mir die erste Pflicht jedes Künstlers, ja jedes Mannes zu sein. Auch Sie, verehrter Meister, haben Ihren eignen, heimlichen Weg gemacht und haben darin sich als wahrer Künstler (nicht als bloßen wenn auch noch so geschickten, und gescheiten Nachahmer) bewährt. Und wahrlich es ist eine abermalige Bewährung Ihres edlen und wahrhaft feinen Charakters, daß Sie Ihre Theilnahme dem jüngeren Kunstgenossen schenken, der auch seinen eigenen Weg versucht.
So stärke mich der freudige und erhebende Gedanke an Sie, der ich unwandelbar
Ihr Sie verehrender
A.B. Marx
Berlin 1. Novbr 45.
Übrigens gehen hier die Musikangelegenheiten etwas merkwürdig. Am 16 September hat die Akademie (nach ihren Sommerferien und immer noch schwach besucht wegen vieler Abwesender), den Mose angefangen;
eine 1½ stündige Hauptversammlung und eine (sehr wenig) besuchte vorbereitende für die Schwächeren. Morgen, am 2 November, ist erste Haupt-Probe, am 8ten Aufführung.1 Dazwischen aber hat die Akademie am 14 Oktbr Königs Geburtstag gefeiert, am 22s im Weltgericht mitgewirkt2 und zu zwei andern Konzerten (am 13 und 19 November)3 vorgeübt.
De[m]nach darf ich auf eine gute Aufführung hoffen, - wenn nicht noch was dazwischen kommt. Jedenfalls ein Beweis, daß die Schwierigkeiten des Werkes nicht unüberwindlich sind.
Ihr trefflicher Schüler Ries führt das Orchester.
Ihr Marx.
Autor(en): | Marx, Adolph Berhard |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Ries, Hubert |
Erwähnte Kompositionen: | Marx, Adolph Berhard : Moses Schneider, Friedrich : Das Weltgericht |
Erwähnte Orte: | Berlin Kassel |
Erwähnte Institutionen: | Singakademie <Berlin> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845110144 |
Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Marx.
[1] Vgl. Flodoard Geyer, „Aufführung des Mose von A.B. Marx am 8ten November im Saale der Singakademie“, in: Berliner musikalische Zeitung 15. und 22.11.1845.
[2] Vgl. Fl[odoard] G[eyer], „Am 22sten“, in: ebd. 01.11.1845.
[3] Möglicherweise ist hier die Aufführung von Georg Friedrich Händels Josua am 20.11.1845 gemeint (vgl. ders., „Aufführung des Josua von G.F. Händel am 20ten November“, in: ebd. 29.11.1845).
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.12.2017).