Autograf: Historisches Archiv der Stadt Köln (D-KNa), Best. 1051 A 22, S. 1-4
Druck: Reinhold Sietz, Aus Ferdinand Hillers Briefwechsel. Beiträge zu einer Biographie Ferdinand Hillers, Bd. 1 (= Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 28), Köln 1958, S. 69

Sr. Wohlgeb.
Herrn Ferdinand Hiller
in
Dresden.
bey Herrn Kapellmeister
Reisiger zu erfragen.

frei.1


Cassel, den 23sten
October 1845.

Hochgeehrtester Herr,

Obgleich ich erst eine Antwort von unserer Theaterdirection in Bezug auf Ihre Oper abgewartet hätte, so darf2 es doch nun nicht länger verschieben, Ihnen meinen besten Dank zu sagen, daß Sie mir durch gefällige Zusendung Ihres Werkes Gelegenheit verschafft haben, dieses näher kennen zu lernen. Ich habe es wiederholt durchgesehen und mich sehr über die gute Auffassung, die, wo es galt, höchst eingethümliche Erfindung, die durchweg prakticable und wirkungsvolle Instrumentirung und besonders über die gute Form der Musikstücke gefreut. Daß diese nur durch sehr häufige Textwiederholungen erreicht worden ist, habe ich freilich, bey meinem Wiederwillen gegen diese, beklagen müssen, so wie ich überhaupt glaube, daß die meisten Musikstücke für die dramatische Wirkung wohl ein wenig zu weit ausgesponnen seyn mögen, was sich jedoch ohne die Oper in Scene gesehen zu haben, nicht mit Sicherheit beutheilen läßt.
Was nun Ihren Wunsch, die Oper hier gegeben zu sehen, betrifft, so habe ich das, was von mir abhängt, gethan, nämlich, sie der Direction zur Annahme empfohlen. Leider hängt die Entscheidung aber vom Prinzen3 ab, der selbst den Intendanten des Theaters macht und sich bey der Wahl der neu einzuübenden Werke die Entscheidung vorbehalten hat. Wie wenig dabey meine Entscheidung gilt, habe ich leider schon oft erfahren und wieder neuerdings bey Marschner’s neuer Oper, die er nicht will, während er das fade Machwerk von Flotows „Stradella” sogleich, nachdem er davon lobpreisend in österreichischen Blättern gelesen hatte4, verschreiben ließ. Bey Ihrer Oper wird, fürchte ich, ihn der tragische Ausgang abschrecken, da er die Oper mit solchen, wie überhaupt Trauerspiele, die hier nur gegeben werden dürfen, wenn er verreiset ist, nicht mehr sehen will. – Sobald ich übrigens von der Theaterdirection eine Antwort erhalten habe, werde ich sie Ihnen sogleich mittheilen. Ich habe wenig Aussicht, um Laufe des Winters Urlaub zu erhalten, und werde daher der Aufführung meiner Oper5 in Dresden, wenn sie zu Stande kommt, wohl schwerlich beywohnen können, es sey denn, daß die dortige Intendanz sich etwa direct bey dem Prinzen um Urlaub für mich verwenden wollte.
Meine Frau und ich bitten, unser den lieben Ihrigen angelegentlichst zu empfehlen.

Mit wahrer Hochachtung ganz
der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Hiller, Ferdinand
Erwähnte Personen: Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Erwähnte Kompositionen: Flotow, Friedrich von : Alessandro Stradella
Hiller, Ferdinand : Ein Traum in der Christnacht
Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845102313

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Hiller an Spohr, 09.09.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hiller, 26.04.1847, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Hiller an Spohr erschließen lässt.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „CASSEL / 23 / 10 / 1845“.

[2] Sietz fügt an dieser Stelle ein im Autograf fehlendes „ich“ ein.

[3] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.

[4] Wohl im wesentlichen die Berichterstattung über die Hamburger Inszenierung: „Hamburg den 6. Jänner 1845“, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung 5 (1845), S. 24; Pr. Br., „Hamburg, Anfang Februar“, in: ebd., S. 107; „Hamburg“, in: Sammler 37 (1845), S. 82; „Musik“, in: Ullustrirte Zeitung 4 (1845), S. 95; V., „Theaterbriefe aus Hamburg V“, in: Humorist 9 (1845), S 204, 208, 216 und 220, hier S. 204 und 208. Weniger enthusiastisch der Bericht „,Stradella’ von Flotow in Leipzig“, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung 5 (1845), S. 196.

[5] Die Kreuzfahrer.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.07.2022).