Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck: La Mara (= Pseud. für Marie Lipsius), Classisches und Romantisches aus der Tonwelt, Leipzig 1892, S. 140ff. (teilweise)
Inhaltsangabe: Computerdatei von Herfried Homburg († 2008) nach einem Exzerpt von Franz Uhlendorff

Cassel, den 26sten Sept. 1845.

Geliebter Freund,

Bey dem Bestreben, was ich hatte, die Musik zu den Kreuzfahrern ganz der Handlung anzupassen, scheint sie mir zwar nicht sehr geeignet in Concerten aufgeführt zu werden, - wenn indessen außer dem Text auch noch die im Clavierauszuge stehenden Anmerkungen abgedruckt werden, so mögten die Zuhörer doch wohl zum Verständniß kommen und Interesse an der Musik nehmen können. Meine Partitur mit der Erlaubniß, die Stücke, die man für eine Concertproduction geeignet hält, in Abschrift nehmen zu dürfen, steht Mendelssohn und der Concertdirection sehr gern zu Diensten. Außer dieser kann ich auch noch die Gesangstimmen einsenden. Ueber unsere Orchesterstimmen kann ich aber, wie Sie wissen, nicht verfügen. Am besten wäre es wohl, wenn Mendelssohn den Clavierauszug durchblätterte und überhaupt erst sähe, ob er etwas findet, was er zur dortigen Aufführung geeignet hält. Ist dieß der Fall, so würde ich die Partitur sogleich einsenden. Vom 1ten Akt würden sich No. 3, 4, 5, 6 und 7 hinter einander wohl am besten passen, auch No. 2, doch ist dieß allein wohl zu kurz und unbedeutend. Doch Mendelssohn wird, wenn überhaupt, schon eine passende Wahl treffen. Die Musik muß aber gut gesungen und mit dem Orchester sehr genau eingeübt werden, wenn sie Wirkung machen soll. — Hier gewinnt sich die Oper immer mehr Freunde und die letzte Aufführung am Sonntag vor 8 Tagen war so überfüllt und das Publikum war so lebendig, wie man es in Cassel gar nicht gewohnt ist. [...]
In Bonn war durch Schuld des Comitee viel Verwirrung und man hatte große Mühe, die dort vorhandenen Kräfte zu den Proben zusammen zu bringen. War dieß geglückt, dann ging es aber auch gut, denn Chor und Orchester waren vortrefflich, letzteres so ausgezeichnet, wie es am Rhein sicher noch nicht gehört worden ist. Die Messe und 9te Sinfonie am ersten Tage gingen wirklich musterhaft und so executirt machte erstere, trotz mancher ungenießbaren Stellen, im Ganzen doch einen großartigen Effekt. [...] Von den spätern Concerten ging auch einzelnes ganz vortrefflich, z. B. die Ouverture zu Coriolan und Egmont, das Es dur Concert von Liszt gespielt, das 10te Quartett, für welches freilich der Raum zu groß war. Unter den anwesenden Virtuosen zeichneten sich hauptsächlich Madame Pleyel, der junge Moser und der Violoncellist Ganz aus. Der Zusammenfluß so vieler berühmten Künstler aus allen Ländern, die sich jeden Mittag zusammen fanden gewährte ein eigenthümliches Interesse und es fehlte nicht an interessantem Austausch zwischen ihnen. Ich könnte viel davon erzählen, muß es aber versparen, bis uns ein günstiges Geschick einmal wieder zusammen führt.1
Soeben habe ich ein Quintett für Piano und Streichinstrumente beendigt und die 3 ersten Sätze gestern Horsley‘s noch zu hören gegeben. Außerdem habe ich im Frühjahr ein Violinquintett (das 6te) geschrieben und schon einige Male produzirt. Etwas Neues für das Concert habe ich aber nicht. Sollte ich im Laufe des Winters noch etwas zu Stande bringen, so werde ich es an Mendelssohn einsenden. — Leben Sie wohl. Herzliche Grüße an Ihre liebe Frau. Wie immer

der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Hauptmann an Spohr, um den 20.09.1845. Der nächste belegte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hauptmann, 25.01.1846.
Uhlendorffs Inhaltsangabe gibt Hinweise auf den Inhalt der im Druck weggelassenen Passagen: „Über Beethovens Missa Solemnis und die 9. Symphonie, Lortzings Zar und Zimmermann (Musik sei „zusammengestohlen“), Sps. Die Kreuzfahrer, das Streichquintett Nr. 6 e-Moll op. 129 und Klavierquintett Nr. 2 d-Moll op. 130.”

[1] Vgl. P.B., „Die Enthüllung des Denkmals für Beethoven zu Bonn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 572-576, hier Sp. 574ff.; „Köln, Juli. Das Beethovenfest zu Bonn – Feier der Schlacht von Waterloo”, in: Morgenblatt für gebildete Leser 39 (1845), S. 712; „Notes on the Beethoven Festival”, in: Athenaeum (1845), S. 815f., hier S. 815; F[riedrich] M[elchior] Gredy, „Nachklänge des Beethovenfestes”, in: Caecilia 25 (1845), S. 21-28, hier S. 21f.; „Prussia”, in: Spectator 18 (1845), S. 775f., hier S. 775; „Bonn”, in: Augsburger Postzeitung (1845), S. 909f., hier S. 910

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.01.2016).