Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18450924>

An Emilie Zahn
in
Newyork
d.G.


Cassel den 24ten
Sept. 1845.

Liebe Emilie,

Der Besuch Eurer Freunde in Cassel war uns ein rechtes Fest, weil sie uns von Euch recht viel erzählen konnten. Das meiste davon hat uns sehr gefreut, doch einiges auch betrübt. Am schmerzlichsten aber war es mir zu hören, daß Du auf die Ausbildung des Gesangstalentes unseres guten Thalchens1 so wenig Zeit und Lust verwendest und daß das liebe Kind selbst so wenig Eifer dafür zu haben scheint! Es hat mich dieß um so mehr in Erstaunen gesetzt, da du ja aus eigener Erfahrung weißt, wie beglückend der Besitz eines solchen Talentes ist! Und wie leicht ist es, mit einer wirklich ausgezeichneten und kunstgerecht ausgebildeten Stimme sich ein bedeutendes Vermögen und dadurch Unabhängigkeit zu erwerben! Jenni Lind, von der der Ruf gewiß schon nach Amerika gedrungen ist, singt jetzt in Deutschland und verdient wenigstens in jeder Woche 200 Louisd'or. Noch 2 Jahr, so ist sie reich und unabhängig und kann ganz ihrer Neigung leben. Ist nun das Organ unsres guten Thalchens wirklich so ausgezeichnet, wie Du mir früher schriebst und wie Eure Freunde mir von Neuem versichert haben und fehlt es ihr nicht an Ohr und am Geschick zur Ausbildung, so laß es doch Dein angelegenlichstes Bestreben, die Aufgabe Deiner ganzen Thätigkeit seyn, daß Gesangstalent des Kindes auszubilden und so ihr Glück zu begründen. Schreibe mir doch ja recht ausführlich, wie es sich damit verhält. Fehlt es ihr noch an Sinn für die Kunst, so suche ihm doch auf alle Weise zu erwecken. Es gibt ja doch nichts beglückenderes im Leben!
Ida und Line2 werden Dir von unseren Sommerexcursionen weitläufig geschrieben haben. Ich erwähne ihrer daher weiter nicht. Nur will ich noch bemerken, daß ich mit Freude bemerke, daß die neue Oper sich immer mehr Bahn bricht und seit der Clavierauszug erschienen ist, immer besser verstanden wird! In Berlin wird sie fortwährend gegeben und die letzte Aufführung hier brachte bey dem übervollen Hause einen eben so tollen Beyfallssturm hervor wie die erste. Im Spätherbst wird sie nun auch in Dresden, Braunschweig, Detmold und Mainz gegeben werden und sich dann auch hoffentlich auf alle übrigen deutschen Theater verbreiten mit Ausnahme einiger katholischer Städte, wo man am Buche (von dem Einmauern der Nonne) Anstoß nehmen wird.
Lebe wohl. Von uns allen die herzlichsten Grüße an Zahn und Thalchen.
Mit inniger Liebe

Dein Vater
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Zahn, Emilie
Erwähnte Personen: Lind, Jenny
Pfeiffer, Caroline
Wolff, Ida
Zahn, Johann Wilhelm
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Berlin
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Braunschweig>
Hoftheater <Detmold>
Hoftheater <Dresden>
Königliche Schauspiele <Berlin>
Nationaltheater <Mainz>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845092400

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 06.06.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 04. und 05.08.1846.

[1] Zahns Tochter und Spohrs Enkelin Nathalie, später verh. Wiegand.

[2] Caroline Pfeiffer, die mit in Spohrs Haushalt lebende Schwester seiner Frau.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (05.05.2020).