Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck: Moritz Hauptmann, Briefe von Moritz Hauptmann, Kantor und Musikdirektor an der Thomasschule zu Leipzig an Ludwig Spohr und Andere, hrsg. v. Ferdinand Hiller, Leipzig 1876, S. 20f. (teilweise)

Leipzig, den 27. Nov. 1845.

Lieber Herr Kapellmeister!

[...] Mendelssohn und die Concertdirection lassen Sie ergebenst und freundlichst ersuchen, ob Sie zur Aufführung im Gewandhaus ihnen nicht etwas aus den Kreuzfahrern, irgend ein Ensemblestück, eine Scenengruppe oder was sonst passend sein könnte, mittheilen könnten und wollten, man würde es mit größter Dankbarkeit aufnehmen, ebenso etwas anderes Neues, wenn Sie vielleicht in letzter Zeit etwas geschrieben hätten, und zwar würde es sehr erwünscht sein, wenn es für eines der ersten Concerte geschehen könnte. Die Concerte beginnen heute über 14 Tage den 4. Oct. Man erwartet fürs 1. Concert Jenny Lind. Clara Schumann wird ein neues Concert von Schumann spielen.1 Im Ganzen wird es doch immer schwerer eine solche lange Reihe von Concerten interessant auszustatten. Den Kern können doch immer nur Sachen bilden, die man schon oft gehört hat, wohl immer wieder gern hört, aber Neues muß doch auch hinzukommen: man geht nicht in ein Concert wie in eine Bildergallerie und sieht einer Concertsaison nicht entgegen, wie dem kommenden Frühling, bei dem man sich gerne mit demselben Grün, denselben Bäumen und Vögeln wieder begnügen mag, die der vorige gebracht hatte. Am schwersten wird immer eine neue Symphonie Fuß fassen und sich denen anreihen können die man immer wieder hören mag, weil hier die Composition ganz allein das Interesse trägt, nicht wie bei so viel mittelmäßigen und schlechten Gesang- und Instrumental-Solostücken, wo es der Vortrag mehr als das Vorgetragne thut.
Ich muß aber gestehn, daß die Virtuosität allein für mich schon lange nur ein sehr untergeordnetes Interesse hat und daß ich alle diese Sachen sehr gern entbehre.

Autor(en): Hauptmann, Moritz
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Lind, Jenny
Schumann, Clara
Erwähnte Kompositionen: Schumann, Robert : Konzerte, Kl Orch, op. 54
Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Leipzig
Erwähnte Institutionen: Gewandhaus <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845092033

Spohr



Der letzte belegte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hauptmann, 19.07.1845.
Die Datierung dieses Briefs im Druck auf den 27.11.1845 ist offensichtlich falsch, da Spohr die in diesem Brief enthaltene Anfrage nach für ein Konzert geeignete Ausschnitte aus Die Kreuzfahrer Spohr in seinem Brief vom 26.09.1845 beantwortete. Der hier vorliegende Brief muss Spohr also vor diesem Datum zugegangen sein. Einen genaueren Anhalt zur Datierung bietet Hauptmanns eigene Zeitangabe „Die Concerte beginnen heute über 14 Tage den 4. Oct“. Demnach entstand der Brief um den 20.09.1845.

[1] Das Konzert fand am 05.10.1845 statt. Anstelle eines Klavierkonzerts von Schumann trug Clara Schumann das Klavierkonzert op. 16 von Adolph Henselt vor, anstelle von Jenny Lind trat die Sängerin Mina Schrickel-Steinmüller aus Hannover auf (vgl. „Leipzig, den 5. October 1845”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 731ff., hier Sp. 732; „Erstes Abonnement-Concert im Saale des Gewandhauses zu Leipzig. (Den 5. October 1845.)”, in: Signale für die musikalische Welt 3 (1845), S. 321f.). Jenny Lind konzertierte erst im 8. Abonnementkonzert am 04.12.1845 (L.R., „Leipzig, den 6. December 1845. Achtes Abonnementconcert, Donnerstag, den 4. December”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 891-898; „Leipziger Musikleben”, in: Neue Zeitschrift für Musik 23 (1845), S. 190ff., 200 und 208, hier S. 191; „ „Achtes Abonnement-Concert im Saale des Gewandhauses zu Leipzig. (Den 4. December 1845.) Jenny Lind”, in: Signale für die musikalische Welt 3 (1845), S. 393f.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.01.2016).