Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Brüssel d 17ten August 1845.

Geehrter Herr und Freund!

Recht sehr habe ich es bedauert, daß meine Geschäfte es mir nicht erlaubten der Beethovens Feyer in Bonn bewohnen zu können, denn bey der musikalischen Wüste die leider in Belgien sich findet, wäre es für mich ein doppelter Genuß gewesen, einmal wieder gute deutsche Musik zu hören; der Vorstand des Festes hatte mich mit einer Einladung beehrt, jedoch konnte ich von der Kirche keinen Urlaub erhalten, weil mein Stellvertreter, der Cantor krank war, mithin ich mußte bleiben.
Da Alles, was die Kunst betrifft Sie interessirt, so wage ich es, Ihrer Freundlichkeit vertrauend, Ihnen einen katholischen Geistlichen zu empfehlen, der so gern Ihre Bekanntschaft zu machen wünscht; es ist dies der Abbé Labillotte, der ein ausgezeichneter Componist ist, u bereits 100 u einige Werke herausgegeben hat, er mach eine Reise durch Deutschland, um unsere musikalischen Autoritäten kennen zu lernen, mithin, ohne Ihre Bescheidenheit zu verletzen, habe ich die Pflicht ihn aufzufordern Ihre Bekanntschaft zu machen, um so mehr da er mehrere Ihre schöne Compositionen kennt; ich bin überzeugt, dß es Ihnen nicht unlieb sein wird, einen Mann kennen zu lernen, der für die Kunst glüht, u der nur für die Kunst lebt; indem ich Sie bitte den Herrn Abbé Lambilotte die Ehre Ihrer Bekanntschaft zu gönnen, erlaube ich mir zu bemerken, dß er siehr viel thun kann, um Ihre Kirchenwerke in Belgien in Frankreich zu verbreiten, wo man leider noch die Messen von Bühler ect. für sehr schön hält, doch mit der Zeit wird es sich auch hier ändern, denn der Einfluß der deutschen Musik hat hier doch schon vieles geändert.
Mit unendlicher Freude habe ich in den Zeitungen gelesen, dß Ihre neueste Oper in Berlin einen außerordentlich Erfolg gehabt hat; es ist natürlich dß ein Werk Ihrer Hand nicht mißfallen kann, doch wissen Sie geehrter Herr Capellmeister, dß das Publikum eine tausenköpfige Hydra ist, u dß die Gunst des Augenblicks nicht zu verachten ist.
Durch H Fétis werden Sie vielleicht gehört haben dß ich seit 3 Jahren bey dem Conservatoir Professor für die Orgel Plain Chant u Kirchenmusik bin, und Gott sey Dank, meine Leistungen haben sich eines allgemeinen Beifalls zu erfreun.
Der Prophet gilt nie in seinem Vaterlande!
Darum muß der Deutsche (leider) erst sich im Auslande suchen einen namen zu machen, um hernach in seinem Vaterlande eine seinen Kenntnissen angemessene Stellung zu finden.

Mich Ihrer ferneren Freundschaft empfehlend, verharre
ich als Ihr
dankbar ergebener
CGirschner

Autor(en): Girschner, Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Fétis, François-Joseph
Lambillotte, Louis
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Brüssel
Erwähnte Institutionen: Beethovenfest <Bonn>
Conservatoire <Brüssel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845081743

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Girschner an Spohr, 19.03.1840. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Girschner an Spohr, 22.01.1847.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.10.2022).