Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Wiesbaden am 9t August 1845.

So ist denn, mein innigst verehrtester Gönner! der entscheidende Tag wirklich gekommen, ohne mich, oder vielmehr meinen linken Fuß zu der ersehnten Wallfahrt gen Bonn hinreichend erstarkt zu finden! – wohl eine der schwersten Resignationen die mir auferlegt werden konnten! – Denn wohl nie in meinem Leben mögte die Gelegenheit wiederkehren, so viel Herren des musicalischen Parnasses versammlet1 zu sehen, und unter Ihrer stets so liebevollen Aegide auch außer dem Hochgenuße der Conzerte in mancher trauten Runde deren gemüthlichen Zusammenseyns so in treffenden als instructiven Unterhaltungen horchen zu dürfen!! – Eine wirklich schauderhafte Fügung, an solchen Tagen und in solcher Nachbarschaft auf den ebenfalls kaum noch zu ertragenden weiten – – [???] reducirt zu seyn!! – und meine von einem Tage zu andern noch immer verfolgte Hoffnung so schmählig getäuscht zu sehen, durch die bisherige eifrige Doppel-Cur, – Morgen- und Abend-Bad, – dieses Ziel meiner Wünsche auch zu erreichen! –
Zürnen könnte ich unserem genialen Jean Bott ob seiner Schreib-Nachlässigkeit! – denn hätte er mir seine veränderten Ferien-Pläne nur etwas früher mitgetheilt, so wäre der ganze Zulauf zum Juni- u Juli-Bade genommen, und ich jetzt wieder auf festen Füßen! Ihm meiner Seits für diesen Zorn die so bestimmte Ferien-Verabredung aufzukündigen oder, – worann ich auch wohl dachte, – ihn einzuladen, mich statt dessen hieher zu begleiten, konnte ich mich nicht überwinden, um dem August Kömpel den in Aussicht gestellten großen Gewinn seines 6wöchigen täglichen Unterrichtes [???] Piano nicht zu entziehen! und so überkam eine solche Entzündungs-Steigerung, daß alsdann nicht ein Mahl die Reise hieher früher möglich zu machen stand; die mich denn auch wieder viel leidender hier ankommen ließ, als ich nach einigen 20 Malzbädern2 abgereist war! –
Doch – verzeihen Sie! mein innigst verehrtester Freund! ich vergesse, wie Sie dort nicht Zeit haben Briefe zu lesen! – Da es aber definitiv leider nun mündlich nicht geschehen kann: so vermag ich denn wenigstens den schriftlichen Ausdruck des frey inniglichsten Dankes für Ihr liebes Schreiben vom 1t d.M., nicht wohl noch länger zurück zu drängen! –
Um Ihnen concentrirt anzudeuten, welch innige Freude dessen Empfang und seine mir so interessanten ferneren Nachrichten über Ihren Berliner Aufenthalt mir machte, gestehe ich Ihnen, daß ich meinen bald darauf eintretenden gemüthlichen Arzte, Geheimrath Fritze, auf seine sofort ernstete Abmahnung von jeder Idee an die Wallfahrt gen Bonn, offen zugehend, daß allerdings, wenn man mir die grausame Wahl stellen würde, entweder dieses Ihr liebes Schreiben zu missen, als einen Pränummerations-Preis für Bonn, – oder Bonn zu missen und das Schreiben empfangen zu haben, – ich ohne Anstand diese letztere Wahl treffen würde! – Tausend Dank dafür!! –
Professor Firnhaber, von dem gemeinschaftl. Arzte von meinem leidenden Hierseyn unterrichtet, schenkte mir am 1st d.M. sehr freundlich seinen Besuch; – er hoffte halb u halb von Ihnen noch einen Avis zu erhalten, ob und wann Er Sie in Frankfurt oder Maynz auf Ihrer Durchreise wenigstens für ein Paar Augenblicke werde erreichen können; seine Reise nach Bonn davon abhängig erklärend, ob seine junge Gemahlinn noch in dieser Woche ihn zum glücklichen Vater machen werde? – indem Er vor Ueberwindung dieser Catastrophe nicht reisen könne. – Sonntags erhielt er denn jene Freuden-Nachricht von Hanau, wo die Frau bey den Eltern ist, – eilte sofort hinüber, fand aber leider die junge Frau in schwerer Lebensgefahr!! – Erst Gestern hat unser Arzt die tröstlichere Nachricht von ihm „daß, – nachdem die Aerzte sie schon ganz aufgegeben hatten, Gottlob einige bessere Richtung eingetreten ist!!3 [Das Kind lebt und ist gesund. –]4 Allerdingsdann eine unberechenbar schmerzlichere und angstvoll spannendere Zurückhaltung von den fernen Nationalfeste denn die meinige! –
Daß nach eben eingehender Zeitung nun doch auch noch die interessante junge Königinn des einflußreichsten und mächtigsten Reichs der Erde vermittelst früheren Parlaments-Schlusses und etwas forçirter Reise diese deutsche Kunst-Feyer durch ihre Gegenwart verherrlichen wird, erfreut mich innniglichst! – Und da das Derselbe von Preußens kunstsinniger Königin auf Stolzenfels5 zu bereitende „Concert monstre“ schon am 13t veranstaltet werden soll: so hoffe ich, daß ferner auch solches nun noch durch Ihre Gegenwart, mein innigst verehrtester Freund! werde verherrlicht werden! – und herzlich freue ich mich auf die Entschädigung Ihrer und Ihrer theuren Frau Gemahlinn demnächstige u geistvolle Erzählungen von dem Allen! –
Mit der Bitte, der letzteren mich herzlichst zu empfehlen, verbinde ich die,6 mich, – soweit es ohne Anmaßung in solchem Truble geschehen kann, – der freundlich wohlwollenden Erinnerung der großen Meister Meyer-Beer7, Mendelssohn8, und Liszt9 mit Ausdruck meiner innigsten Verehrung mich nennen zu wollen! –
So innig dankbar als unwandelbar

Ihr wärmster Verehrer
CFLueder.

Autor(en): Lueder, Christian Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Firnhaber, Carl Georg
Fritze, Wilhelm
Kömpel, August
Liszt, Franz
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Meyerbeer, Giacomo
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Berlin
Bonn
Frankfurt am Main
Hanau
Mainz
Stolzenfels
Wiesbaden
Erwähnte Institutionen: Beethovenfest <Bonn>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845080935

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort eines derzeit verschollenen Brief von Spohr an Lueder. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 26.11.1845.

[1] Sic!

[2] „In besonders gutem Rufe stehen mit Recht die Malzbäder, obwohl ich zu glauben geneigt bin, dass die Kleienbäder ihnen an milder, beruhigender Wirkung nicht nachstehen würden, wenn sie nur in der Mode wären.“ (J.K.W. Vogler, Die Quellen zu Wiesbaden, Wiesbaden [1848], S. 171.

[3] Vgl. Carl Georg Firnhaber an Spohr, 10.08.1845.

[4] Ausdruck in Klammern am linken Seitenrand eingefügt.

[5] Vgl. „Die Reise der Königin von England. III. Brühl, Bonn und Cöln“, in: Illustrirte Zeitung 5 (1845), S. 195ff., hier S. 197.

[6] Hier ein Wort gestrichen („– soweit“`?).

[7] Vgl. Lueder an Spohr, 26.04.1840, 06.05.1840 und 22.05.1840.

[8] Vgl. Lueder an Spohr, 13.12.1839 und 10.11.1841.

[9] Vgl. Lueder an Spohr, 25.11.1841.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.08.2021).