Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Euer Hochwohlgeboren

erlaube ich mir die ergebene Mittheilung zu machen, daß ich vor Jahren das Glück hatte aus dem Nachlasse des zu Anfang dieses Jahrhunderts verstobenen Churhessischen Concertmeisters Rodewald, dessen zweites Stabat mater, in der Partitur, auch1 mit den und mehreren von seiner Hand zur Ausführung geschriebenen Stimmen zu acquiriren. Bekanntlich war sein erstes Werk2 in Pergolesischer Art, in den 1700 achtziger Jahren (1785?) bei Schott in Mainz erschienen3, binnen zwei Jahren gänzlich vergriffen und Rodewald arbeitete ein Neues, so in Partitur mit4 Flauto I, II, 2 Cornua in Es, Violino I, II, 2 Violetten, Sopran I, II, und Basso beymit, sich auch ferner mit Oboe u Fagotto fortsetzt, und von Cembalo, violoncello und Fortepiano vergesellschaftet ist.5 Den Text davon lege ich anbei.6
Diese Perle, wie Sie mein seeliger Gönner7 , Friedrich von Dalberg in mehreren Schreiben an mich nennt, ist im Jahr 1800 von dem Compositeur in Hanau, wo er an dem Hofe des damaligen Kurprinzen angestelt war, ofentlich aufgeführt worden.8 Die nachher eintretende französische Zeit, raubte dem alten Mann seine Stelle und Leben, sein Nachlaß wurde öffentlich verkauft, und so kam diese Reliquie, werth der Vergessenheit entrissen zu werden,9 später in meine Hände, der ich sie rettete und treulich bewahre.
Die Einsicht dieses steht Ew. Hochwohlgeboren zu Diensten, und bin ich bereit Ihnen im Ganzen oder Einzeln ergebenst vorzulegen. Auch wünsche ich sehr Ihnen Proben meiner Musikalischen Arbeiten vertrauensvollst vorbringen zu dürfen, worin es mir nicht ungelungen erscheint der critischen Forderung „ein Gesetz in der Musik, demzufolge Alles aus sich selbst entwickelt, aus höheren Quellen abgeleitet werden kann – darzustellen.
Meine CompositionsProben, allererste Versuche, in ihrer Tendenz mit obigem vielleicht so richtig und klar wie 2 x 2 = 4, bestehen unter andern aus dem Anfange eines Concertes für die vier HauptstreichInstrumente, einen Einmarsch und Ausmarsch in ihrer Mitte ein Lebehoch als besonderes Musikstück, für alle Octaven und Stimmen führend: noch so ein Chor zur Medea des Euripides getreu nach dem griechischen Texte, und mehrere Compositionsversuche aller Art, in meinem System der Musik von 16 Octaven Umfang und Hundert Stimmen-Arten, ohne mein Gehör (ich bin beinahe ganz taub) u Instrumentalhülfe hervorgebracht, durch die Ueberlegung u Berechnung der Verhaltnisse der Stoffs.
Allein es geht mir hiebei hier noch viel schlimmer als unserm Newton, Keppler, Stephenson und den Erfindern des Gaslichts; ich glaube jedoch vor Männern wie Sie, mich meiner Bestrebungen seiner Zeit nicht schämen zu müssen.
Bei Herrn Ritter von Liszt, Hoch Ihrem Freunde, finden Sie einen Artikel von Hr. Prof. Fetis zu Paris wegen meiner allerersten Proben, welches noch jedem Freude gemacht, der denselben gelesen hat.
Mit größter Hochachtung und Verehrung verharrend

Euer Hochwohlgeboren
ganz ergebenst
der Doktor d. Philosophie und Baumeister
BHundeshagen.

Bonn den 8ten August 1845.
Cölnstraße. Nro 536. Drei-
Reichskronen.

Autor(en): Hundeshagen, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Dalberg, Friedrich von
Fétis, François-Joseph
Liszt, Franz
Rodewald, Carl
Erwähnte Kompositionen: Rodewald, Carl : Stabat mater, c-Moll
Rodewald, Carl : Stabat mater, f-Moll
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Beethovenfest <Bonn>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845080849

Spohr



[1] „auch“ über gestrichenem „und“ eingefügt.

[2] Hier gestrichen: „dieses“.

[3] Carl Rodewald, Stabat mater dolorosa, Mainz o.J. – Hier verschlagwortet als Stabat mater, c-moll.

[4] „mit“ über der Zeile eingefügt.

[5] Hier verschlagwortet als Stabat mater, f-moll.

[6] „an“ über der Zeile eingefügt.

[7] Vgl. J. Noll, „Helfrich Bernhard Hundeshagen und seine Stellung zur Romantik“, in: Jahresbericht des Königlichen Kaiser-Friedrichs-Gymnasium zu Frankfurt a.M. (1891), S. 18.

[8] Vgl. „Konzert-Anzeige“, in: Hanauer Neue Europäische Zeitung 07.04.1800, nicht paginiert

{9] Hier gestrichen: „kam“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.08.2022).