Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Hochwohlgeb.
Hern Hofcapellmeister Spohr
Cassel.

franco.
cito!!1


Sondershausen, am
25. Juli 1845.

Mit dem gerührtesten Herzen ergreife ich die Feder um Ihnen für den hohen Beweis Ihrer Liebe innigst zu danken, denn ich kann wol sagen, ich bin noch nie so freudig überrascht worden, als durch Ihr Schreiben, in welchem Sie mir Ihre Aufmerksamkeit in so weit schenkten, mir unentgeltlich Unterricht auf der Geige zu geben. Von Kindheit an habe ich die größte Neigung für Musik gehabt, habe nun namentlich seit 3 Jahren in ihr gelebt und gewebt[,] trage in mir viele Empfänglichkeit für wahre Musik, welch großes, unbeschreibliches Glück für mich, da Sie in meine Bitte eingingen! Denken Sie sich aber nun mein verehrtester Gönner, wie unerbitterlich mich das Schicksal verfolgt, wie es mir so hemmend in allen meinen Plänen entgegentritt. Mein Vater2, ein hoher Verehrer von Ihnen (er hatte Sie selbst schon vor 30 Jahren hier Ihr II.2 Conzert spielen hören, in Frankenhausen beim Musikfeste als thätiges Mitglied unter Ihrer Leitung gestanden und rühmte von da aus namentlich Ihren zartsinn gegen Ihren Herrn Vater) legte sich im Februar auf das Krankenlager und am 1. Junius wurde uns ein Vater von einer noch umsorgten Familie entrissen. Wie hart uns, wie sehr namentlich mich dieser Schlag getroffen hat, läßt sich kaum sagen, denn ich bin ja leider nun für den Augenblick verhindert, Ihre gütige Offerte annehmen zu können, da ich mich noch eines jungen Bruder4, der das hiesige Seminar frequentirt, annehmen muss. So kann ich wenigstens jetzt nicht meine gegenwärtige Stellung aufgeben, doch werden Sie verehrtester Herr Capellmeister gewiss gütigst erlauben, meine 4 Wochen langen Sommerferien, die mit dem 2. August beginnen, in Ihrer Nähe zu verleben und unter Ihrer gütigen Anleitung die von mir eingeübten Conzertstücke (ich nenne namentlich Ihr 2.5,8.6, 9.7, 11.8 Conzert) spielen zu lassen, um wenigstens dadurch einigermaßen in Ihre gediegenen Spielart und Methode, der ich mit Leib und Seele ergeben, eindringen zu können. Ihr Name ist mir gefeiert und noch immer kann ich die Stunde noch nicht vergessen, wo Sie sich so weit herabließen, mit mir einige Etüden aus Ihrer Schule zu spielen.9 Überhaupt habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben und wenn nur einigermaßen die Wunden, die uns geschlagen, wieder geheilt sind, werde ich meinen tiefgefühlten Wunschausführen, wenn Sie sich noch meiner annehmen wollten.
Sollten Sie nun im Monat August so viel Zeit abbringen können, mich zu unterrichten, so werde ich heute über acht Tage als den 4. August in Cassel eintreffen, widrigenfalls aber, oder wenn Ihre Ferien erst mit dem August angehen sollten, ganz gehorsamst bitte, mir bis dahin Nachricht zu ertheilen. Es würde mir freilich nicht angenehm sein.
Nun nehmen Sie nochmals meinen tiefgefühlten Dank an und sein Sie versichert, dass ich Ihren hohen Edelmuth gehörig und würdiglich zu schätzen weiß und dass ich meine Dankbarkeit auch durch die That zu erkennen geben [we]rde.
Mit der ausgezeichnetsten [Hoc]hachtung nenne ich mich Ihren

dankbarsten
Carl Haessler,
Musiklehrer am Seminar



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Haessler. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Haessler an Spohr, 30.04.1849.

[1] cito = eilig. – Rechts oben befindet sich auf dem Adressfeld ein kaum lesbarer Poststempel „SONDERSHAUSEN / [???] / [???]“.

[2] Carl Benjamin Haessler.

[3] Op. 2.

[4] Hermann Theodor Haessler.

[5] Op. 2.

[6] Das „Konzert in Form einer Gesangszene“ op. 47.

[7] Op. 55.

[8] Op. 70.

[9] Um Pfingsten 1844 (vgl. Haessler an Spohr, 20.02.1845).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.07.2020).