Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287


Catlenburg am 20t Juli 1845.

Leider, mein innigst verehrtester Gönner! bin ich noch immer hier statt in Wiesbaden! – indem in den heißen Tagen die entzündlichen Schmerzen meines linken Unterschenkels so heftig wurden, daß ich nicht wagen durfte, die Reise anzutreten! –
Da ich aber zur Abreise, und zwar über Reifenstein, nun täglich im Anschlage liege, u ich in Cassel zu dasiger Uebernachtung wohl etwas ermüdet u angegriffen ankommen mögte: so schreibe ich diese Zeilen im voraus, um solche daselbst für Ihre zu erwartende Rückehr1 abzugeben; was mir sicherer scheint, als sie den Chancen(???) jugendlicher Unerfahrenheit des lieben August Kömpel zu überweisen. –
Die von diesem mir mitgebrachte geneigteste Abrechnung Ihrer theuren Frau Gemahlin ergibt incl. der 3 Rth zur Herreise u der Hartmannschen Rechnung des Monath Juni den unendlich gütigen Vorschuß von 12 Rth 20 Sg. – Um diese dankbarlichst zu [???] und der wohlwollenden Frau Rechnungsführerin einen ferneren Fonds von wiederum 10 Rth ehrerbietigst zu überreichen, erfolgen anliegend = 22 Rth 20 Sg resp. durch 22 Rth in Cassen-Scheinen u 20 Sg baar. –
Auch auf diesen talentreichen Knaben hat meine schmerzhafte Erkrankung insofern höchst unerwünscht zurückgewirkt, als ich auch dadurch behindert wurde, seine Uebungen etwas aneinanderhängender und regelmäßiger zu überwachen; was zweyfellos bey ihm etwas erforderlich ist! – Auch meine Frau war leider fast fortwährend an nervösrheumatischen Zahn- u Kopfschmerzen leidend, u ist es von einem Tage zum andern abwechselnd noch jetzt. –
Was mich gerade in diesem Augenblicke gleich zu diesen Zeilen trieb, war ein eben gelesener Artikel im Journal de Francfort, in welchem ein Correspondent aus Carlsbad vom 9t d.M. die dasige große Frequenz hoher Herrschaften u Europäischen Notabilitäten reihet, u zu dessen Belege neben mehreren Souverainen pp auch „le Baron Berzelier et le Maitre de chapelle Spohr“ namentlich anführt!2
Wäre es denn möglich, daß Sie, mein verehrtester Gönner! während meine Imagination Sie in Berliner resp. Mühen und Spannungn und Triumphen von Tag zu Tag seit dem 15t begleitet, ruhig u wohlgemuth, u so Gott will nur für künftige Uebel dem Ihnen schon früher so wohlthuend gewesenem Carlsbad sich zugewendet hätten? – u also die Berliner Fest-Aufführung der „Kreuzfahrer“, gleich der Dresdner bis zur Wieder-Anwesenheit des Opern-Haupt-Personale’s zurückgeschoben wäre? Sie werden leicht merken, in welchem Maaße diese Fragen mich spannen! – und allerdings auch die sich hinzugesellende, ob wohl gar, wie bey mir selbst, in Ihrem Wohlbefinden eine unerwartete Veränderung vorgezogen seyn könnte, welcher solcher etwaigen Veränderung Ihrer Ferien-Pläne Antheil genommen hätte! – Unendlich, mein verehrtester Freund! werden Sie mich daher verpflichten, wenn Sie meiner innigen Theilnahme an Allem was Sie so nahe berührt, bey Ihrer Wieder-Ankunft in Cassel ein Paar Zeilen widmen, u mich durch diese in Wiesbaden auf einstweilen allda im Gasthofe „Zum Adler“ – zugleich die Post, – mir bevorstehendem gar einsamen Stübchen innigst erfreuen wollen! –
Ich bin nämlich so lahm, daß ich außer dem mühsamem Gange in’s Bad zunächst das Zimmer nicht werde verlassen können! – was denn während des vel quasi benachbarten Beethovens-Feste pp die Geduls-Probe noch etwas steigern wird. –
Die Erinnerung indessen, wie ich im Winter 1834/35 durch Versäumniß einer solchen rechtlicheren Cur, u in dem unglücklichen damahligen Vertrauen auf die Homöopathie3 an demselben Uebel Netto 16 Wochen lang nachher an‘s Lager gefesselt war, wird die beste Beschützerinn consequenter Geduld in dem heileringendem Wiesbaden seyn! –
Wollen Sie mir als dann zugleich mittheilen, ob Ihnen möglich u paßlich geworden ist, die in meinem nach Braunschweig adressirten Schreiben vom 3t d.M. Ihrer endlosen Güte zugemutheten Renseignements4 in Betreff des nach Ihrem geneigtestem Vorschlage gewünscht werdenden Aufenthaltes des jungen Krüger in Leipzig einzuziehen, u welche Resultate solches ergeben hat: so werden Sie dadurch nicht nur mich, sondern auch die hier solcher Nachricht harrenden in hohem Grade verpflichten! – welchen letzteren ich denn solche Nachricht bey wöchentlich zweymahliger Correspondenz hierher sofort mittheilen werde –
Gegenwärtig kommt der junge Krüger ab u an hieher, um mit August Ihre prachtvollen Duetten, die er besitzt, einzustudiren u zu spielen. – Er ist in dem Lager sehr dadurch beglückt worden, daß Se Majestät in Begleitung Regiments-Commandeur u Adjutanten wie die Musik herein geritten ist, dieser sein besonderes Wohlgefallen zu erkennen zu geben, u den Krüger animirend zu beglückwünschen, schon in so jungen Jahren an die Spitze eines so ausgezeichnet tüchtigen Musik-Chores gestellt zu seyn; – was es als Militair-Musik ausschließlicher Blech-Instrumente, – selbst incl. des merveilleusen gracieus geschmackvollen Paukers! – in der That ist. –

Am 21sten Juli 45 –
Meine Abreise steht nun fest auf den 26t d.M., u ich könnte die 3 Rth der Rückreise des August sparen, wenn ich ihn gleich mit mir nähme. – Meine Frau will ihn aber, auch für die Paar Tage nur, gern noch hier behalten; – u ich würde ihr die Unterhaltung seines resp. Vorlesens u Spielens nur gar zu gerne für die ganze Zeit meiner so weit leider sich hinaus gezögert habenden Abwesenheit erhalten wissen, wenn es nur nicht mit seiner weiteren Fortbildung unter Ihrer so unendlich wohlwollenden Aegide im Wiederspruche stände! – Da der 1st August aber gerade auf einen Freytag fällt, und nicht zu erwarten ist, daß er gleich solchenes Tages schon Ihrer liebevollen Belehrung sich wiederum werde zu erfreuen haben können: so habe ich zugegeben, daß er erst am Sonntage, den 3t k.M., Nachmittags dort wieder eintreffe; in der Voraussetzung daß er am 2t denn der Wieder-Anfang seiner Stunden Ihnen conveniren werde. –
In der Hoffnung denn, daß Sie und Ihre theure Frau Gemahlin, sey es nun von Carlsbad oder von Berlin, in fröhlichem Wohlbefinden und zufrieden und befriedigt von auch diesjähriger Ferien-Reise in Ihrem kunstgeweiheten idyllisch friedlichen reitzenden Häuschen wiederum anlangen, und auch Ihre theuren Verwandten wohl vorfinden, mit herzlicher Liebe u Dankbarkeit

Ihr
wärmster Verehrer
CFLueder.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 15.06.1845. Dazwischen lässt sich aus diesem Brief ein weiter derzeit verschollene Brief Lueder an Spohr, 03.07.1845 erschließen, den Spohr aber möglicherweise nie erhalten hat. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 28.07.1845.

[1] Sic!

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Vgl. Lueder an Spohr, 10.01.1835.

[4]Renseignements, fr. Mz. (spr. Ranghsenniemanghs) Nachweisungen, Anzeigen, Meldungen)“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörtebuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 402).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.08.2021).