Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.6 <Taubert 18450629>

Sr. Wohlgeb.
Herrn Hofkapellmeister
Taubert
in
Berlin.

frei.


Oldenburg den 29sten
Juni 1845.

Hochgeehrter Herr College,

Ich habe Ihnen heute eine, für mich höchst betrübliche Mittheilung zu machen. Bey dem hiesigen Musikfeste am 26sten überfiel mich während der Musikaufführung1 ein so heftiger Krankheitsanfall, daß ich nur mit der höchsten geistigen Anstrengung bis zu Ende mitwirken konnte. Gleich nachher mußte ich aber das Bett suchen und habe es erst heute früh wieder verlassen können. Es war einer der heftigsten Magen- und Brust-Krampfanfälle, die ich je habe erleiden müssen, und gegen die ich bereits 2 Mal Carlsbad gebraucht habe. Der Arzt, der mir hier zu Hülfe eilte, drängt darauf, daß ich, sobald ich nur die nöthige Kraft wiedergewonnen habe, um reisen zu können, direct von hier nach Carlsbad zur Kur gehe und da ich dafür, nach Abzug der Reisetage, kaum noch 3 Wochen als Urlaub übrig behalte, so muß ich leider auf alles, was ich Musikalisches für diese Reise vorhatte, verzichten, so auch auf die Leitung meiner Oper in Berlin.2 Hätte ich nur die mindeste Aussicht im September 10 bis 12 Tage außergewöhnlichen Urlaub zu erhalten, so würde ich bitten, daß die Aufführung in Berlin bis dahin verschoben werde. Leider darf ich, nach den gemachten Erfahrungen aber fast keine Hoffnung hegen, mit meinem Gesuch zu reüssiren und so muß ich es ganz der Bestimmung der dortigen Intendanz überlassen, ob die Oper jetzt zu der bestimmten Zeit gegeben werden soll oder nicht. Haben Sie nun die Güte Herrn G.M.3 Meierbeer und Herrn G.Int.4 Küstner mit dem Inhalt dieses Schreibens bekannt zu machen und es gütigst zu entschuldigen, daß ich diesen Herrn nicht auch sogleich schreibe, woran mich nur meine große Schwäche hindert. Beyde Herren sind meinen Wünschen so zuvorkommend entgegengekommen, daß ich mich zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet fühlen werde. Ihnen aber habe ich noch besonders meinen herzlichsten Dank zu sagen, daß Sie bey dem Einüben meines Werks so thätig waren und noch ferner seyn werden. Ihrem Wohlwollen sey es daher auch noch für die Folge empfohlen!
Die Instrumentierung der Orgelpieçen welche ich bereits in Cassel angefangen hatte, aber wegen der Abreise nicht vollenden konnte, werde ich in Braunschweig oder Leipzig, wo ich den eben erscheinenden Clavierauszug der Oper5 antreffen werde, beenden und Ihnen ungesäumt zusenden. Sollten Sie mich im Laufe des Monaths mit einem Schreiben zu beehren gedenken, so bitte ich es nach Carlsbad zu adressiren, wohin ich spätesten übermorgen abreisen werde.
Schlüßlich ersuche ich Sie noch, Herrn Professor Wichmann und dessen Gattin für ihre freundliche Einladung, die Wohnung während unseres Aufenthalts in Berlin bey ihnen zu nehmen, unsern herzlichsten Dank zu sagen und mit dem traurigen Ereigniß bekannt zu machen, das uns zwingt, auf unsern Bes[uch] in Berlin zu verzichten.
Mit wahrer Hochachtung habe ich [d]ie Ehre zu seyn

Ihr
ergebenster
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Taubert, Wilhelm
Erwähnte Personen: Küstner, Karl Theodor von
Meyerbeer, Giacomo
Wichmann, Ludwig Wilhelm
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Berlin
Braunschweig
Karlsbad
Leipzig
Oldenburg
Erwähnte Institutionen: Königliche Schauspiele <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845062914

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Taubert an Spohr, 13.06.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Taubert, 14.07.1845.

[1] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge, 26.-28.06.1845; „Oldenburg. (Auszug aus einem Schreiben des Herrn Capellmeister Pott)“, in: Allgemeine Musikalische Zeitung 47 (1845) Sp. 613f.,hier Sp. 614; Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 292f.

[2] Gemeint ist die geplante Berliner Erstaufführung von Spohrs Oper Die Kreuzfahrer. Sie fand am 26. Juli 1845 in Berlin statt und Spohr dirigierte die Premiere dann doch selbst.

[3] General-Musikdirektor.

[4] General-Intendant.

[5] Der Klavierauszug zu Spohrs Oper Die Kreuzfahrer erschien 1845 bei Schuberth in Hamburg und Leipzig.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (30.10.2017).