Hermann Wichmann an Louis Spohr in Kassel

Cassel d. 22t Juni 1845

Hochverehrter Herr Capellmeister,

So eben erhalte ich einen Brief aus Berlin in welchem meine Eltern Sie auf das Dringendste bitten doch die Tage welche Sie zu Ihrem dortigen Aufenthalte¹ festgesetzt haben bei uns zu verleben. – Da ich Sie versichern kann daß in unserm Hause immer Zimmer bestehen und überhaupt keine Störung durch Ihr Dortsein verursacht wird, so darf ich wohl meinen Eltern mit Bestimmtheit schreiben daß Sie uns die große Ehre anthun wollen und auf unser aller inständigsten Wunsch eingehen. Obgleich unser Haus nicht ganz am Theater und an der Singacademie oder dgl liegt, so ist doch die Entfernung keineswegs weit, und unser Wagen steht Ihnen stündlich zu Ihrer Disposition. Meine Eltern werden am Tage Ihrer Ankunft zu Berlin Sie auf der Eisenbahn mit unserm Wagen erwarten und bitten uns kurz vorher den Tag und die Stunde genauer anzugeben. –
Dies wird vielleicht Frau Capellmeister unter der Adresse Prof. Wichmann Hasenhegerstraße No 1 u. 2 meiner Mutter bestimmen können. – Für jetzt bitte ich so bald wie möglich um ein Paar Zeilen nach Cassel in welchen Sie uns unsern Wunsch gewähren; meine Eltern nehmen keine abschlägige Antwort an. – Ich instrumentire täglich an meiner Symphonie und wünsche nur daß Sie einigermaßen damit zufrieden sind. Nächsten Sontag will ich beim Appellationsrath Pfeiffer ein Trio spielen. –
Noch einmal, hochverehrter Herr Capellmeister, ersuche ich Sie uns die große Freude Sie bei uns in unserm Hause zu sehen nicht abzuschlagen.
Mit der höchsten Achtung

Ihr Ihnen ganz ergebener Schüler
Hermann Wichmann