Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 15t Juni 1845 Abends 7 Uhr

Erlauben Sie, mein innigst verehrtester Freund und Gönner! zunächst Ihre gütige Vermittelung für den Ausdruck unserer herzlichsten Beglückwünschungen Ihrer theuren genialen Frau Gemahlin an deren uebermorgenden Geburtstage verehren zu dürfen! – Nach meiner Rechnung werden diese Zeilen gerade an solchem wahrlich auch mir heiligen Morgen in Ihre Hände gelangen; und es schließt sich daran noch die herzliche Bitte, der edlen Frau in herzlichster Verehrung so vieler Tugenden vereint mit so reichem Talente den beyfolgenden Schatz unverwelklich harmonischer Behandlung und Verherrlichung kindlich einfachster frommer Weisen der Vorzeit ehrerbietigst überreichen zu dürfen!1
Sodann auch unsern theilnehmendsten herzlichsten Glückwunsch zu der Ihnen wiederum gewordenen gerechten Auszeichnung von Seiten des edlen Herzog‘s von Meiningen! – Solche Würdigung wahren Verdienstes wie deren gemüthvolle Form der begleitenden eigenhändigen Zuschrift, ehrt zugleich die hohen Besitzer des Rechtes, solche Ajuszeichnungen zu verleihen, Selbst am meisten! –
Von dem übrigen Inhalte Ihres innigst dankbar verehrten abermahl so ausführlich interessanten lieben Schreibens vom 8t d.M. hat mich2 schmerzlich berührt, daß die bevorstehenden Ferien Ihnen wohl nicht die Freude bringen, Ihre neue Oper in der Ausstattung Dresdens reicher Mittel zu hören, und solche dem dasigen kunstsinnigen Auditorie mit dem Talismann des Eigenen Directions-Stäbchens vorzuführen! –
Gelänge freylich, wie im vorigen Herbste für das unvergeßliche Braunschweiger Spohr‘s-Fest, im Spätherbste noch ein Mahl nach Dresden Urlaub zu erhalten: so würde ich umgekehrt über solchen Vorsatz mich nur herzlichst freuen! Denn, – die Mitte des Sommers ist u bleibt an sich in jedem Betrachte in unserem Deutschlande die aller ungünstigste Zeit für derartige Festtage der Kunst-Tempel! und meine Hoffnung da, mit dem Ausfluge nach Dresden eben so den nach der durch die Eisenbahn nur 6-8 Stunden davon entfernten Königsstadt Preußens alsdann verbinden zu können: so würde mir die gleichfallsige etwaige Verschiebung der Berliner Ausführung unter Ihrer Direction bis in jener Epoche, ebenfalls wahre Freude machen! –
Denn auch allda würde solche spätere Jahreszeit in jedem Betrachte eine günstigere seyn, als der Juli! – – Mögen Sie nichts dem Prinz-Regenten3 gerade zu um solche Erlaubniß schon jetzt ansprechen? – da gerade jetzt befreundetes Verhältniß zu Berlin doppelt werth gehalten zu werden scheint: so würde die dahin führende Königliche Einladung vielleicht um so mehr Berücksichtigung erhalten; u ungekehrt die Erlaubniß zu dem alsdann gleichzeitigen Trimphzuge in Dresden noch erleichtern – ? –
Nachdem ich den4 genialen Jean Bott in Uebereinstimmung mit früherer bestimmter Verabredung in voriger Woche gebethen hatte, das für seine u des August Kömpel Ueberkunft erforderliche Arrangement für meine Rechnung zu treffen, überrascht mich die Anzeige des Vaters5 vom iit d.M., daß der Jean am Vortage nach Giessen pp abgereist sey! – Zunächst drängt sich mir dabey nun der Scrupel auf, ob unter diesem Verschwinden der Hoffnung u Erwartung, dem August Kömpel besonders durch dessen hiesiges 6 Wochen langes stetes Zusammenseyn mit dem kunstbegabten Bott wahrhaft förderlich werden zu können, – dem jugendlichen Kömpel mindestens nicht eben so nützlich gewesen wäre, während der Ferien zu dem Vater6 zu gehen? – zu Mahl der Aufenthalt des Königs in Brückenau zweyffellose Gelegenheit gegeben haben würde, vor demselben zu spielen, u dadurch das der edlen Frau von Malsburg durch H.(?) v. Tanne zugeschriebene Versprechen erneuert in Erinnerung zu bringen – ? – wenn gleich von meiner bey der Gelegenheit etwa zu erlangenden Unterstützung den Knaben selbst wohl wiederum das wenigste zu gute gekommen seyn würde! –
Da die Zeit nun da ist, sehe ich täglich mehr ein, wie ich selbst schwerlich die Zeit erringen werde, dem August regelmäßigen Unterricht im Piano-Spiel zu geben! u ich werde nun also den Unterrichts-Stümperey eines der benachbarten Cantoren für ihn recurriren müssen! –
Nach der durch Bott‘s unerwartetes Ausbleiben auch übrigens eintretenden gänzlichen Umgestaltung meiner Juni- u Juli-Pläne, wäre ferner nicht unmöglich, daß ich die immer wa[hrs]cheinlicher werdende ärztliche Condemanirung7 einer Wiesbader Cur, schon im Juli u der ersten Häffte des August‘s benutzen; so daß der Kömpel alsdann eine etwas lange Zeit unter der leicht etwas nachlässigen Fleiß-Controlle meiner Frau allen stände; – für welche diese selbst8 gerne nach dem ihr sehr zusagenden Naturell des Knaben allen Muth haben würde.
Könnten und mögten Sie aber unter solchen Umständen demselben nützlicher halten, den Wünschen des Vaters für die Ferien zu folgen: so bitte ich Sie fraglich, darüber zu entscheiden u das nöthige für meine Rechnung zu verfügen, ohne irgend welche Berücksichtigung unseres Wunsches, den Knaben ein Mahl wieder für längere Zeit hier zu sehen, – der Wunsch, ihm thunlichst nützlichzu werden, ist und bleibt die erste Berücksichtigung von Allem über und für ihn zu beschließenden.
Bleiben Sie aber, auch bey dem leider zu entbehrenden gleichzeitigen Hierseyn Bott ‘s, bey der Ansicht, daß des August hierseyn selbst bey etwaigen u fast wahrscheinlichem Wegfall auch meiner eigenen Uebungs-Controlle dennoch ihm nützlicher seyn werde, als diese temporäre Rückkehr zu dem Vater: so erlaube ich mir die Bitte, ihm das für seine Ueberkunft mit der Fahr-Post bis Northeim erforderliche geneigtest vorschießen zu wollen, – auch wird die unendlich gütige Cassen-Verwaltung Ihrer theuren Frau Gemahlin außerdem wohl längst in Vorschuß seyn! – den ich dann bey Rückkehr des August dankbar decken werde, wenn Sie desfallsige Nota demselben vielleicht mitgeben wollen.
Wegen des jungen Krüger erwehne ich Ihre leider unbefriedigt ausgefallene Prüfung seiner s.g. Compositionen herzlich dankbar!9 – Meine Absicht war mit dem Regiments-Commandeur über den einschläglichen Inhalt Ihres lieben Schreibens zu sprechen. Die Schaf-Schur-Presse, die mich jetzt eingezwängt, hat mich aber noch nicht dazu gelangen lassen; u meine sich sehr dafür interessierende Frau leidet seit einiger Zeit leider gerade wieder zu arg an unerwünschten Kopf- u Zahnschmerzen pp um eine desfallsigen Ausflug nach Nordheim machen zu können.
Die nun völlige Herstellung der Frau v. Malsburg erfreut uns zum höchsten u alle Pulse schlagen mir doppel, indem ich mir vergegenwärtige, daß diese geistreiche Kunstbeschützerinn und deren interessanter Londoner Besuch, Fräulein Horsley, gerade in diesem Augenblicke wahrscheinlich, u hoffentlich, in den Hochgesängen der „Kreuzfahrer“ schwelgen!
Die Post drängt! – unter den herzlichsten Begrüßungen meiner Frau so innig als unwandelbar

Ihr
wärmster u dankbarster
Verehrer.
CFLueder.

N.S. Wie so gern hätte auch ich die Bekannschaft des Fräulein Horsley gemacht! Deren Bild schon vor der Hand der mit Liebe ihr zugewandten Meisterinn in deren kunstgeweihtem Salon so anziehend ist! – u ich mögte sagen – spricht! – Wie wird die Gewißheit mich erfreuen, daß der Hochgenuß der „Kreuzfahrer“ Ihr dort noch würde.

N.S. Wenn Kömpel mir zuvor den Tag bezeichnen kann, an welchem er Abends 7 Uhr mit der Fahr-Post in Nordheim eintreffen wirde: so soll daselbst mein Wagen ihn u seine Sachen erwarten. –



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Lueder, 08.06.1845. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrerspondenz ist Lueder an Spohr, 20.07.1845, aus dem sich noch der derzeit verschollene Brief Lueder an Spohr, 03.07.1845 erschließen lässt.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] „dazu“ über der Zeile eingefügt.

[3] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.

[4] Hier gestrichen: dritter Bogen am letzten Buchstaben zu „m“.

[5] Anton Bott.

[6] Georg Kömpel.

[7]Condemnation, l. die Verurtheilung, Verdammung“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörtebuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 104).

[8] „selbst“ über der Zeile eingefügt.

[9] Vgl. Lueder an Spohr, 11.05.1845.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.07.2021).