Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.2 <18450607>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Hochwohlgeboren
Herrn Dr. Louis Spohr, Kurfürstl
Hofkapellmeister, Ritter etc.
in
Cassel
 
franco.0
 
 
Breslau den 7 Juni 1845
 
Hochgeehrtester Freund und Gönner!
 
Es wäre mir recht erwünscht einige Gewißheit über die Aufführung Ihrer Kreuzfahrer zu haben und es ist mir gleich ob ich deshalb nach Dresden oder Berlin reise. Kürzlich schrieb ich an Herrn Musikverleger Wilhelm Paul in Dresden, welcher sich erkundigte und mir eine nicht befriedigende Antwort gab. Der Chordirector Fischer habe ihm nämlich mitgeteilt, daß wohl vor Monat August die Aufführung nicht stattfinden würde. Mir ist dies gleich, doch ob sie dann können, ist eine anderes Frage. Wissen Sie vielleicht über Berlin etwas Näheres, so bitte ich ergebenst um gütige Nachricht, denn jedenfalls liegt mir daran bei dieser Gelegenheit mit Ihnen, theurer Freund zusam- men zu sein. Auch wollten noch einige hiesige Musikfreunde gern die Oper unter Ihrer Direction hören, weshalb man sich doch an einen Bekannten wegen Besorgung der Billets wenden müßte. Bei uns haben 3 Italiener Konzert gegeben, Salvi, Corradi u. Fräulein Assandri.1 Salvi ist ein kostbarer Tenor, der das hohe b mit voller Brust, sehr schön singt, dabei hat er ungemeine Fertigkeit, Corradi hat ebenfalls eine schöne Stimme ist aber nicht Künstler genug und Fräulein Assandri ist etwas passée und nicht musikalisch, sie sang auch aus Don Juan: batti, battti mit Verunzierungen und unrein. Heute wird von der Singakademie mit Orchester die Walpurgisnacht von Mendelssohn bereits zum 2ten Male gegeben und morgen dirigire ich eine neue Cantate von mir in meiner Kirche. Haben Sie die Güte mir bald zu schreiben, damit ich mich bestimmt auf Alles recht freuen kann.
Ihrer Frau Gemahlin, deren und Ihrer Familie, Frau von Malsburg, Fräul. Paul. Pfeiffer1b sowie sonstigen Freunden und Bekannten meine ergebensten Grüße.
 
Hochachtungsvoll
Ihr
ergebener Verehrer
Ad. Hesse.
 
Bei uns wird es wohl noch am Ende zu einem Religionskriege kommen; unsere Domherren verfolgen von der Kanzel herab und auf andere Weise die neue deutsch-katholische Gemeinde und möchten Ronge2 am liebsten vergiften, er wird aber hier sehr geschätzt und genießt große Achtung, der Dom aber wird fast täglich in unsern beiden Zeitungen wegen seiner Intoleranz und seines Strebens nach Finsterniß schonungslos mitgenommen; neulich war hier eine Ausstellung hübscher Sachen zum Besten der Altkatholiken, gleich darauf befahl unser Bischof von allen Kanzeln die Gemeinden zu warnen etwas zum Besten für die gottverfluchte Sekte zu kaufen, gestern wurde den Herren aber in der Breslauer Zeitung gesagt, daß sie als Aufwiegler zu betrachten wären und Absetzung so wie Festungsstrafe nach dem allgemeinen Landrechte verdienen. Bei uns ist jetzt in dieser Hinsicht so freie Presse, daß jeder Versuch der Geistlichkeit, hemmend einzuwirken, und geschähe er im unbedeutendsten Dorfe, in der Zeitung erzählt wird, weshalb bei uns in der3 Kathedrale stets vor dem Zeitungslesen gewarnt wird und man die Zeitungsleser gottvergessene Skribler von der Kanzel nennt, auch darüber hat sich vorgestern die Zeitung auch belustigt. Ich begreife nur nicht, daß wirklich hochgebildete und begabte Männer, wie einige unserer Dommherren sind, so gegen ihren eigenen Verstand handeln können.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hesse an Spohr, 09.04.1845. Spohr beantwortete diesen Brief am 19.07.1845.
 
[0] [Ergänzung 17.01.2022:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRESLAU / 7 / 8 / 3-4“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags der Stempel „13 JUNY / 18[45]“.
 
[1] Vgl. „Breslau”, in: Illustrirte Theaterzeitung 38 (1845), S. 584.

[1b] [Ergänzung 19.05.2020:] Pauline Pfeiffer, später verh. Wehner.
 
[2] Der katholische Priester Johannes Ronge übte 1844 öffentlich Kritik Trierer Wallfahrt, weil er die Ausstellung des Heiligen Rocks als Reliquie für ein Götzenfest hielt. Nach seiner Exkommunikation gründete er die Deutschkatholische Kirche (vgl. Johannes Ronge und der heilige Rock. Ein Beitrag zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2. Aufl., Arnstadt 1845). 
 
[3] [Ergänzung 17.01.2022:] Hier gestrichen: „Chate“.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.10.2015).