Autograf: Yale University New Haven, Musical Library (US-NH), Sign. Misc. Ms. 372 (Box 6/Spohr)

Sr. Wohlgeb.
Herrn Taubert
Königl. Preußischer Hofkapellmeister
in
Berlin.
 
frei.1
 
 
Cassel den 7ten Juni
1845.
 
Hochgeehrter Herr College,
 
Schon längst hatte ich mir vorgenommen, mich brieflich in Ihre Bekanntschaft einzuführen, um so mehr, da ich von Herrn G.M.2 Meyerbeer3 erfuhr, daß Sie sich des Einübens meiner Oper4 gütigst unterziehen würden. Da ich nun aber vor einigen Tagen von meinem Freunde Lüder ein Schreiben5 erhielt, worin er mir meldet, daß er das Glück gehabt habe, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, Ihr Spiel und Ihre freie Phantasie zu bewundern, so wie, daß Sie ihm einige Mittheilungen, meine Oper betreffend, gemacht hätten, so zögere ich auch keinen Augenblick länger, meinen Vorsatz auszuführen. Am meisten hat mich die Nachricht erschreckt, daß die Proben zu meiner Oper erst am 8ten Juli beginnen können, weil ich nicht begreife, wie Sie, wenn nicht etwa schon Clavierproben vor dem Beginn der Ferien stattgefunden haben, bis zum 26sten oder 27sten spätestens, wird in Szene gehen können, was doch seyn müßte, wenn ich die Aufführung dort erleben und leiten soll, indem ich spätestens am 29sten früh meine Rückreise antreten muß, da mit dem letzten Juli mein Urlaub erlöscht. Die Oper ist zwar nicht übermäßig schwer und keine der Parthien übermäßig groß, doch glaube ich kaum, daß bey der übrigen Beschäftigung der Sänger, die Oper in so kurzer Zeit kann einstudirt werden. Ich ersuche Sie, verehrter Herr College, dringend, mir bald gefälligst hierüber Ihre Ansicht mittheilen zu wollen.
Ich erfahre aus dem Briefe meines Freundes ferner, daß das Opernhaus noch keine Orgel wieder besitzt. Dieß ist auch ein übler Umstand, da sich die Wirkung derselben nur höchst mangelhaft durch ein Orchester von Blasinstrumenten hinter der Scene ersetzen läßt. Wäre es denn nicht möglich, eine solche für die Aufführung geliehen zu bekommen? oder besitzt das Schauspielhaus keine Orgel, die man einstweilen herüber nehmen könnte?
Sie haben gegen Freund Lüder den Wunsch ausgesprochen, daß ich möglichst früh in Berlin eintreffen möge. Dieß wird sich nun thun lassen, da die Aufführung meiner Oper in Dresden, welche früher auf den 16ten oder 17ten Juli bestimmt war nun dort im Spätherbst stattfinden wird,6 weil zu der früher bestimmten Zeit der Hof in Dresden nicht anwesend seyn wird. Ich gedenke daher den 14ten oder 15ten Juli in Berlin einzutreffen und kann Ihnen bey dem Einüben der Oper hülfreich zur Seite stehen. – Herr G.M. Meyerbeer wird nun wohl abgereiset seyn. Sollte er wider Erwarten doch noch in Berlin seyn, so bitte ich ihn aufs herzlichste von mir zu grüßen und ihm zu sagen, daß ich ihn nochmals bitten lasse, ja seine Ausflüge von dort so einzurichten, daß er in der 2ten Hälfte des Juli zurückgekehrt sey.
Indem ich nun schließlich meine Freude ausspreche, daß mir nun bald die Freude zu Theil werden wird, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, wiederhole ich nochmals meine Bitte um bald gefällige Nachrichten, wo möglich vor dem 16ten dieses, weil ich dann meine Ferienreise, zuerst die Woche hinunter nach Oldenburg, antreten werde.
Mit den Gefühlen wahren Hochachtung
 
Ihr
ergebenster
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Taubert, Wilhelm
Erwähnte Personen: Lueder, Christian Friedrich
Meyerbeer, Giacomo
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Berlin
Dresden
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Dresden>
Königliche Schauspiele <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845060714

Spohr



Taubert beantwortete diesen Brief am 13.06.1845.
 
[1] Über dem Adressfeld findet sich von anderer Hand noch der Vermerk: „Spohr. 7 Juni 45. Cassel.“
 
[2] General-Musikdirektor.
 
[3] Vgl. Meyerbeer an Spohr, 02.04.1845.
 
[4] Spohrs Oper Die Kreuzfahrer wurde am 26.07.1845 erstmals in Berlin aufgeführt. Spohr dirigierte die Premiere selbst.
 
[5] Christian Friedrich Lueder an Spohr, 01.06.1845.
 
[6] Tatsächlich fand die Dresdener Aufführung überhaupt nicht statt (vgl. Wolfram Boder, Die Kasseler Opern Louis Spohrs. Musikdramaturgie im sozialen Kontext, Bd. 1, Kassel 2007, S.342f.).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (30.10.2017).