Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18450606>

Cassel den 6ten Juni
1845.


Liebe Emilie,


Es ist recht lange her, daß wir direkt von Dir keine Nachrichten gehabt und nur aus den Briefen des jungen Häreus1 erfahren haben, daß Ihr wohl seyd. Doch will ich Dir keine Vorwürfe machen, weil ich hörte, daß ein Brief von dir unterwegs ist. Sollte dies aber nicht der Fall seyn, so rechne ich darauf, daß Du uns sogleich nach Empfang dieser Zeilen recht ausführlich meldest, wie es Euch geht.
Daß ich gern der Einladung2 der Newyorker, ihr Musikfest zu dirigieren, gefolgt wäre, um Euch wieder zu sehen, brauche ich wohl nicht erst zu versichern. Allein wäre der Urlaub, vielleicht mit Verzichtsleistungen auf den Gehalt, auch auszuwirken gewesen, so hätte sich doch Marianne nie entschließen können, eine so weite Seereise zu machen. Ich mußte die Idee, nachdem sie mich einige Tage angenehm beschäftigt hatte, daher sogleich aufgeben und ablehnend antworten. Gleicherweise habe ich die Einladung3, das diesjährige Musikfest in Norwich zu dirigieren abgelehnt, so wie eine Aufforderung4 der Philharmonischen Gesellschaft in London, einige ihrer Concerte zu übernehmen, letzteres weil ich bereits zugesagt hatte, meine Oper bey den ersten Aufführungen in Dresden5 und Berlin6 selbst zu dirigieren und in einem großen Concert in Oldenburg, welches aus lauter Kompositionen von mir bestehen wird und zur Errichtung einer Wittwenanstalt für die dortige Kapelle bestimmt ist, mitzuwirken. Wir werden daher während der Ferienzeit zuerst auf 8 Tage (die Weser hinab) nach Oldenburg, von dort über Braunschweig nach Dresden und zuletzt nach Berlin gehen. In letzterer Stadt ist die Aufführung der Kreuzfahrer bereits auf den 25ten Juli bestimmt. Ob sie in Dresden noch während der Ferienzeit wird stattfinden können, ist noch zweifelhaft. Kann dieß nicht seyn, so wird sie bis zum Spätherbst verschoben und ich werde einen Versuch machen, einen 8 tägigen Urlaub außer der Ferienzeit zu erhalten, um die Direction übernehmen zu können.
Von unseren Concerten uns Musikparthien während des Winters, zu denen Freund Lueder jedes Mal kam, wird dir Ida gewiß geschrieben haben. Vieleicht hat sie aber nicht erwähnt, daß ich mir für mein Auftreten ein neues Concert geschrieben hatte, welches ich nun auch in Oldenburg spielen werde. Auch ein neues Quintett (das 6te) habe ich geschrieben und in unseren Musikparthien wiederholt gespielt, auch der Fr. v. Malsburg als Geburtstagsständchen gebracht.– Der Clavierauszug der neuen Oper wird binnen kurzem erscheinen und ich werde die erste Gelegenheit benutzen, um ihn Dir zu schicken.
Vor etwa 14 Tagen erhielt ich ganz ganz unerwartet vom Herzog von Meiningen den Sächsischen Orden zugeschickt, begleitet von einem höchst freundlichen und verbindlichen Schreiben7. Da ich seit seiner Vermählung8 ganz außer aller Verbindung mit ihm bin, so überraschte mich diese Auszeichnung sehr. Ich sehe nun der Genehmigung des Prinzen9 entgegen, den Orden tragen zu dürfen. Fr. v. Malsburg hat lang an den Folgen der Grippe gelitten und fängt erst jetzt bey dem schönen Wetter an, sich nach und nach zu erholen. Sie hat Besuch von Frl. Horsley aus London und wir sind jetzt im Freien häufig zusammen. – Lebe wohl meine gute Emilie und schreibe uns recht viel von unserem guten Thalchen10. Die herzlichsten Grüße an Zahn. Dein dich liebender Vater L. Spohr Marianne und Line11 grüßen auf das herzlichste.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 05.12.1843. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 24.09.1845.

[1] Vermutlich ein Sohn von Johann Peter Heräus (vgl. Casselsches Adreß-Buch (1845), S. 99).

[2] Vgl. Ureli Corelli Hill an Spohr, 16.11.1844.

[3] Noch nicht ermittelt, vgl. Edward Taylor an Spohr, 17.04.1845.

[4] William Watts an Spohr, 24.02.1845.

[5] Vgl. Joseph Tichatschek an Spohr, 14.01.1845; Spohr an August von Lüttichau, 16.02.1845.

[6] Vgl. Giacomo Meyerbeer an Spohr 20.02.1845; Spohr an Meyerbeer, 24.02.1845.

[7] Vgl. Bernhard Herzog von Sachsen-Meiningen an Spohr, 17.05.1845.

[8] Spohrs Oper Der Berggeist wurde am 24.03.1845 zur Hochzeit Bernhards mit der hessischen Prinzessin Marie in Kassel uraufgeführt (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 139, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 166).

[9] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.

[10] Zahns Tochter Nathalie.

[11] Caroline Pfeiffer, die mit in Spohrs Haushalt lebende Schwester seiner Frau.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (05.05.2020).