Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 11t May 1845.

Wenn Ihr liebes Schreiben vom 2t d.M., mein innigst verehrtester Freund! mir auch einen die Imagination schon auf das lebhafteste u angenehmster beschäftigenden Hochgenuß entzog, so empfand ich doch Ihre unendliche Güte meiner anderweit so beeilten Benachrichtigung Allerhöchster Rhapsodien nicht weniger dankbar! – In der Voraussicht, daß irgend eine Parade Rhapsodie die Proben plötzlich vom Sonnabend Morgen drauf den Theater-freyen Freytag Nachmittag verlegt haben könnte, gedachte ich schon Freytag‘s in frühester Morgenstunde abzuweisen, woführ schon die kleine Reise-Bagage verpackt war, als durch Ihre stets so freundliche Vorsorge schon Donnerstag-Nachmittag dieser unerwartete Donnerstag dieses anziehende Wallfahrts-Project zertrümmerte! – 12 Stunden später, wäre ich erst in Cassel, u dann allerdings um so zerschmetterter davon getroffen worden, als in dieser Jahreszeit solche Kunst-Excursion doch nur recht schwierig mit meinen Geschäften in Einklang zu bringen war! – Auch Freund Rittmüller avertirte1 ich sofort. – Sollten nicht die Wilhelmshöher Gasthaus-Pächter pp darauf influirt2 haben? – Die wohl ungern ihre Gäste nur 5 Uhr pp schon wieder zu Stadt eilen sehen? –
Der junge Krüger, für welchen ich nie das Officirs-Corps des Garde-Cürassier Regimentes3 die lebenslängliche Wohlthat Ihres Unterrichtens zu erbitten mogte, hat, nach meiner Aufforderung dazu, die anliegenden Partituren einige seiner Compositionen mir4 zugesandt, welche ich in der Meining zu überreichen mir erlauben, daß Sie daraus vielleicht am besten den Standpunkt seiner Fähigkeiten beurtheilen können; was auf Ihren wohlwollenden Rath u definitiven Resolution über jenen dringend bittlichen Antrag von einigem Einfluße seyn dürfte. –
Der allgemein beliebt gewesene Musikmeister jenes namentlich auch für jeden concertirenden Künstler stets durchaus uneigennützig gefälligen Musik-Corps, Hr Eckart, ist leider bereits verschieden, – Der Andrang zu dessen Ersatz resp. der Regiments-Commandeur pp aber sehr geneigt, diese vorzüglich gute Stelle dem talentvoll geglaubten jungen Krüger, – dessen Vater u mehrere ältere Brüder in dem Corps sind, – das Jahr hindurch offen zu erhalten, wenn die Aussicht zu gewinnen steht, daß seinem vermeintlichen Talente die beschützende Richtung u Unterstützung Ihres Unterrichtens ein resp. 3 Monathe hindurch zu Theil werden können. Eben weil die Zeit nur so sehr beschränkt seyn kann, glauben die Herren wie Krüger selbst, – u ich muß allerdings derselben Ansicht seyn, – daß die größte u vollendeste Meisterschaft für diesen Unterricht am unentbehrlichsten sey; weil diese am sichersten beurtheilen wird, was dem vorliegenden Zwecke, – des fleißign Schülers weiterer schon feststehender Bestimmung, am nützlichesten u förderlichsten in so kurze Zeit zusammen zu drängen u dafür auszuwählen sehen wird. –
Ob Sie ihm die 3 Monathe August, September, October, oder Octrb., Nvbr, Dcbr resp. den wohlwollend bestimmen wollen, würde ganz von Ihrer Covenirung abhängen. – Leider wird das Regiment vom 15t Juni bis 15t Juli mit mehreren anderen bey Hannover concentrirt, – wohin der arme Teufel nicht ein Mahl eine Violine mitnehmen kann! – zu deren Benutzung auch seine jetzige, mit Abwartung seines Pferdes noch belästigte Stellung ihm nicht ein Mahl Zeit lassen würde! – Bleiben das Regiment in Northeim, so würde ich zu vermitteln suchen, daß er vielleicht auch während des Hierseyns des genialen Jean Bott wöchentlich ein Paar Stunden bey diesem schon allhier zu genißen hättte; den vor 2 Jahren die stets große Gefälligkeit dieser Leute, wie deren Officire, auch sehr erfreute. –
Vor einiger Zeit waren die Herren Gebrüder von Buttlar von dort hier, in Veranlassung eines Pferdehandels; bey welcher Gelegenheit ich von dem musicalischen derselben zu meinem Bedauern hörte, daß der talentreiche junge Bender nun wirklich schon, – er meinte am 7t oder 8t d.M., – nach München reise.5 Auf dessen Mit-Hierseyn werden wir also verzichten müssen? –
Ungemein rühmte Hr v. Buttlar, die abermahls vortrefflich gelungene Aufführung u herrliche Wirkung Ihres prachtvollen Doppel-Quartettes in dem damahls eben statt gehabten Concerte des Donauschinger Fagottisten6. –
Ob mir die Wallfahrt gen Dresden7 wohl gelingen wird – ? – Möglich wäre, daß ich eine hyppologische Geschäftsanwesenheit in Torgau8 damit verbinden könnte! – welche wahrscheinlich auf den 7t u 8t Juli fallen würde. –
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen wie mit mir Ihrer theuren Frau Gemahlin auf das herzlichste! – So einige als dankbar

Ihr wärmster Verehrer
CFLueder.

G.N.S. daß die Lampe vorläufig Ihres Wohlgefallens sich zu erfreuen hat, macht mir große Freude! – Für die Zeit deren Sommer-Nicht-Gebrauches dürfte räthlich seyn, die Oefnung des Glas-Cylinders durch eine Papier-Tüte pp zu verschließen, um dem Licht u dessen Röhre gegen Raub pp zu schützen. – Auch gebe ich anheim, bey der ersten Erneuerung des Dochtes der Dienerschaft in etwas zu Hülfe zu kommen, in Beachtung der Art der Aufspannung u Befestigung des Dochtes, wie des richtigen Einsatzes des Dochthalters u seiner kleinen Leisten in die dafür vorfindlichen Krappen oder Rillen. –

CFL

Wie beklagen wir das noch immer fortdauernde Unwohlseyn der Frau v. Malsburg!! – Hoffentlich kann der August Kömpel in seiner Wochen-Relation bald die ersehnte Nachricht völliger Herstellung berichten!! –



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Lueder, 02.05.1845. Spohrs Antwortbrief vom 08.06.1845 ist derzeit verschollen; zuvor schrieb Lueder jedoch am 01.06.1845 noch einen weiteren Brief.

[1]avertiren, fr. benachrichtigen, Winke geben, warnen“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörtebuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 53).

[2]influiren, einfließen, einwirken“ (ebd., S. 244).

[3] Vemutlich das in Northeim stationierte Garde-Kürassier-Regiment (vgl. „[In dem Musikkorps]“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 768).

[4] „mir“ über der Zeile eingefügt.

[5] Vgl. Spohrs Empfehlungsschreiben an Franz Lachner, 19.03.1845.

[6] Zum Konzert von Joseph Braun am 28.04.1845 vgl. Otto Kraushaar, „Cassel, im Juni 1845“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 505-509, hier Sp. 506.

[7] Zur geplanten, jedoch nie realisierten Aufführung von Spohrs Oper Die Kreuzfahrer.

[8] Zum Gestüt Graditz bei Torgau vgl.Grassmann, „Graditz“, in: Encyklopädie der gesammten Theirheilkunde und Thierzuchjt mit Inbegriff aller einschlägigen Disciplinen und der speciellen Etymologie, Bd. 4, Wien und Leipzig 1887, S. 78ff.; ders., „Torgauer Gestüt“, in: ebd., Bd. 10, 1893, S. 302f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.06.2021).