Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochzuverehrender Herr Kapellmeister!

Ein momentan höchst dringlicher Umstand nöthigen mich Ihre Güte und Wohlwollen in Anspruch zu nehmen, zu deßen ich Ihre Gedult in Anspruch nehmen muß, und die Beweggründe zu deßen Rechtfertigung.
Durch die unglückliche Katastrophe welcher meiner ältern Tochter1, mit ihrer Stimme zustieß, da dieselbe aus Schonung längere Zeit nicht auftrag, ferner daß2 gegenwärtig Gäste auftraten, gab ebi dem Publikum das Gerücht, daß dieselbe entlaßen würde, etc. Auf dieses hin, haben Alle diejenigen welche Forderung an uns haben, ihren Saldo reklamirt was mir aus natürlichen Gründen nicht möglich war. Dieselbe ergriffen den Weg Rechtens, würden klaghen3, und so würde uns der gerichtliche Beschlag auf ein ¼ des Gehalts gemacht, welche Maaßregel man sich gefallen laßen müßte. Es erstand aber durch dieses Gerücht der Umstand, daß uns aller fernere Kredig benommen wurde, wie hart mich ein solch Verfahren, mit zahlreicher Familie belastet treffen muß, kann nur ein Famileinvater ermeßen.4
Als Mann und Künstler von Ehre, kann ich in der That nicht mit gutem Gewißen an auswärtigen Bühnen, wenigstens im gegenwärtigen Zeitpunkte n[icht] mich wenden, und meine Tochter für solche Leistungen ausgeben, wie ich dieselbe hiehergebracht. Sie wißen, geehrter H Kapellmeister, daß ich nicht Schuld an diesem Unglück bin, da meine Opposition nicht beachtet wurde, ich weiß aber auch was Sie, durch Ihre geschätzte Intervention, wenn es wirklich zu einer Kündigung kommen sollte, thun können, und bin Ihrer Theilnahme im voraus überzeugt, daß eine so offenbare, ich kann wohl sagen Ungerechtigkeit gewiß verhindern werden, besonders da die gegründete Hoffnung vorhanden ist, daß sich die Stimme, wenn auch langsam, doch sicher erholen wird, dieß bewieß bereits die Zeit und wird bey fernrer Schonung wieder ihre frühere Kraft und Fülle erreichen, dies verbürgt ihre Jugend und ihr Fleiß. Ich sehe in diesem Betreff vertrauungsvoll Ihre Theilnahme entgegen, und bey Ihre bekannte Humanität hege ich die Ueberzeugung keine Fehlbitte gethan zu haben. Es würde uns, der Direction und dem Publikum zu einiger Beruhigung dienen, wenn das Repertoir so gestellt werden könnte, daß meine Tochter noch im Verlaufe dieses Monates in eine oder zwey Parthien, welche nicht viel Portamento erforderten, z.B. Fatime im Oberon, Zerline i. Fra Diavolo Diana i. d. Krondiamanten, Casilda i. Carlo Broschi5, Gretchen i. Wildschützen etc, für deren Ausführung ich garantire, auftreten könnte. –
Eine fernere höchst dringende Bitte mache ich an Ihnen, als Vater zum Vater, in der festen Ueberzeugung daß Sie, v. H.6 mein Vertrauen nicht übel aufnehmen werden. – Durch oben angeführte Gründe7 bin ich leider genöthigt, alle Bedürfniße baar zu entrichten, nun kömmt mir das Unglück daß meine liebe Frau8, seit einige Wochen gefährlich krank darnieder liegt, was mich zu unvorhergesehene Auslagen nöthigte, ferner meine zweyte Tochter, Stephanie, und zweyter Sohn, Richard, diesen Pfingsten, ihre erste heilige Communion verrichten müssen. Zu Letzterem sind mir die Mittel benommen, da ich den Kredit nicht erhalten kann, dieselbe anständig und solcher heilgen Handlung würdig, zu Gottestisch gehen laßen zu können. Ich wendete mich in dieser Noth an die Direction um einen Vorschuß, welcher mir aber abgeschlagen, da der alte Vorschuß noch nicht ganz getilgt. Ich bin dadurch in dergrößten Verlegenheit versetzt, da keine Zeit zu verliehren ist, und keinerlei Mittel besitze, um das Nöthigste anzuschaffen, und doch muß dieser heilige Akt vor sich gehen. In dieser fatalen Lage appelire ich an Ihre Güte und Wohlwollen, mich mit einem [kl]einen Vorschuß von nur zehn Thlr. in Stande zu setzen die Bedürfniße anschaffen zu können. Ich übergebe Ihnen, v. H. anbey, im Falle Sie bis zum Monate August es nicht zurück erhalten haben, eine Anweisung an den Hofkaße. Ueberbringer dieses, mein ältere Sohn, stellt dieselbe zu. Zürnen Sie mir nicht dieser Bitte, Sie wißen selbst als Familienvater daß ein solcher Umstand nicht zu verschieben ist und9 mein Vertrauen und Hoffnung Gewährung finden wird. –
Bey dieser Gelegenheit erneure ich die Anfrage wegen Copiaturen, um einigermaßen das Equivalent herzustellen. Sollte „Stradellavor den „Bräuten v. Venedig“, seyn, so bitte ich, v. H. K. mir ein Theil davon zukommen zu laßen.
Mich und die Meinigen Ihrem fernern Wohlwollen und Schutz empfehlend, verharret mit Aller Hochachtung

Ergbster10
E. Miller

Cassel d. 6/5 45.



[1] Friederike Miller.

[2] Hier gestrichen: „im“.

[3] Sic!

[4] Die finanziellen Probleme verließen die Familie auch später nicht (vgl. „Hiesiges“, in: Ansbacher Morgenblatt für Stadt und Land 2 (1846), S. 383).

[5] La parte de diable von Daniel-François-Esprit Auber.

[6] Abk. f. „verehrter Herr“.
 
[7] „Gründe“ über der Zeile eingefügt.

[8] Catharina Miller.

[9] Hier ein Wort gestrichen.

[10] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.08.2022).