Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 20sten März 1845 Abends 10 Uhr

Mein höchst und innigst verehrtester Freund und Gönner!

Werde ich in d.J. auch an dem so folgenreichen Glücktage, welcher Ihrer hohen Genie‘s zu stets von andern begeisterndem Entzücken so vieler tausend edler Menschen einst der Welt schenkte, in verdoppelt weiter Ferne mitten im stürmenden Meß-Getümmel Leipzig‘s mich befinden: so werden meine Gedanken und Empfindungewn der liebevollsten guten Wünsche innigster Theilnahme in allem was Sie berücht, Ihnen doch nicht weniger nahe seyn, als wäre es mir vergönnt, vor Ihnen zu stehen, – mein edler Freund! und in Ihrem so gemüthreichen geistvollem Auge die wohlwollend freundliche Aufnahme auch meiner guten Wünsche mich innig beglückend zu lesen! –
Und im voraus nun noch die herzliche Bitte, mir die unschuldige Freude zu vergönnen, Ihnen den beygehenden Licht-Apparat als ein kleines Andenken in herzlicher Liebe und Verehrung überreichen zu dürfen, – an jenem Tage, der auch mich jeder Zeit mit innigster Dankbarkeit bis zu Andacht gegen mein Geschick erfüllen wird, das mir vergönnte, der Zeitgenosse Ihrer ruhmgekränzten Tondichtungen zu seyn, – das Ihre Freundschaft und Ihr Wohlwollen mich gewinnen ließ, – denen ich so oft den Hochgenuß der vollen Jugend-Frische dieser unverwelklichen Werke vollendeter Meisterschaft zu verdanken habe, – gesteigert noch durch die begeistert begeisternde eigene Leitung und Ausführung des hohen Meisters Selbst! –
Wie ich auf die unbedeutende Lampe verfiel – ? – das war der Moment zufälligen Gesprächs, welches ergab, daß die bisherige Erleuchteung Ihres Arbeitstisches Sie nicht ganz befriedige, – diese neuen Berliner Stobwasserschen Lampen Ihnen aber noch nicht bekannt seyen. – Da ich diesen nun eine Haupt-Annehmlichkeit des einsamen Landlebens in den langen Winter-Abenden verdankte – auch für meine so gar schwachen Augen ein genügend helles und stets gleiches Licht, – so gewann die Hoffnung einen besonderen Reitz für mich, daß auch Ihnen, mein innigst verehrtester Gönner! deren täglicher Gebrauch zusagend, und dann deren Licht ab und an auch das Medium der Unvergänglichkeits-Ueberlieferungen der hohen Poesien und Fantasien werden mögte, in deren ergreifende Tiefe und Jahrhunderten noch unsere kunstgebildeten Nachkommen studiren und schwelgen werden, wie wir, Ihre glücklichen Zeitgenossen, jetzt! –
Um verdoppelte Aus- und Eingangs-Weitläufigkeiten zu vermeiden, lasse ich das Kistchen über Reifenstein gehen; woselbst diese meine Zeilen deren Ankunft erwarten werden. –
Die Zusammensetzung der behuf der Verpackung ohne Zweyfel auseinander genommenen Lampe, werden Sie leicht zurecht finden. – Der zum bequemeren Tragen derselben bestimmte obere Ring läßt sich abschrauben, und dann die Lampe vermittelst der Oefnung in der mittleren kleinen Kugel sich auf die lange Stange schieben, den welcher der höhere oder niedrigere Stand der Lampe durch die darunter befindliche kleine Schraube bestimmt wird; mit Beystand der im loosgeschrobenen1 Stande zu Hülfe kommenden auf oder nieder schiebenden anderen Hand. –
Dreht man den Kranz, welcher den das Licht um schirmende Glas-Cylinder hält, zur Rechten: so läßt das Licht sich fast zum Sonnen-Glanze steigern! – drehet man zur Linken: so – – geht gar bald alles Licht unter in große Finsterniß!! – ich hoffe aber, daß Sie von dieser fast etwas aristocratischen Tendenz dieses kleinen Licht-Staabes keinen Anstoß nehmen werden; – da auch dessen Mechanismus an eine weise Zügelung solcher Wendung zur Rechten erinnert! – denn, – diese überschritten, zersprengt sie unwiederbringlich in Stücken dessen Schutz und Schirm! – und bewirkt durch solche Ultra-Ueberdachtsamkeit derselben und noch viel verderblicheren Licht-Lampenwelt, wie die entgegengesetzte Wendung!! –
Doch. – allen politischen Scherz bey Seite! – hat noch Heute Abend die erste Mitte jener beyden divergirenden Extreme die wahrhaft begeisternden Stunden in dem, – auch speziell als solcher ein Meisterstück zu nennenden, – Clavier-Auszuge Ihrer heiligen Oratorii mir mehr erleichtert, als irgendein anderer mir unbekannter Licht-Apparat das gethan haben würde! – und ich vermuthe fast, daß ich dadurch einen Kunstgenuß in aller Einsamkeit Ihnen erneuert zu verdanken hatte, den selbst eine Wallfahrt zu Ihrem von reitzenden Genien und Musen umgebenen Parnasse mir Heute nicht gewährt haben dürfte! – da ich kaum bezweyfeln kann, daß die unerhörte Fortdauer strengen Weiteres die erhabenen Kirchen-Aufführung dieses Tages hat verschieben lassen! – Und dann würde ich darauf für Pfingsten hoffen! – welches in d.J. so früh fällt, daß ich als dann Schafe wohl noch nicht werde scheren können!! –
Jetzt aber zum Schlusse nochmahl für Ihr ununterbroche heiteres Wohlergehen in vollständigster und weitester Scene des Werkes meine thelnehmensten innigst besten Wünsche aus tiefster Herzens-Tiefe! – denen auch meine Frau auf das herzlichste sich anschließt! – und welche denn nach glücklichstem Verhältnisse an und durch sich selbst schon Ihre [???]-gute so talentreiche theure Frau Gemahlin in völlig gleicher Weise mit umfassen! – der ich mich in herzlicher Verehrung dankerfüllt zu empfehlen bitte! Unwandelbar innig

Ihr
so warmer als dankbarer Verehrer.
CFLueder.

G.N.S. Da der Glas-Cylinder, – vorzüglich zu Anfang des noch ungewohnten Gebrauchs dieser Lampen, – wohl ein Mahl springt, u. dort vielleicht paßlich nicht gleich wieder zu haben ist: so habe ich einige Reserve-Exemplare desselben gleich mit beordert. – Es wird also auch die Wendung zur Rechten nicht all‘ zu sehr zu fürchten seyn!! –

Autor(en): Lueder, Christian Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
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Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845032035

Spohr



Dieser Brief ging Spohr nicht direkt zu, sondern lag erst Lueder an Spohr, 10.04.1845 bei.

[1] Zeitgenössische Verwendung von „losgeschroben“ z.B. „Die Stangenfeder wird so weit losgeschroben, bis man dieselbe mit dem Schraubenzieher anheben kann“ (R.H.B. Köhnemann, Regeln über die Behandlung des Percussions-Gewehrs, Oldenburg 1841, S. 9).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.06.2021).